31 - Und Friede auf Erden
einzig einen! Nun das Schweigen einmal gebrochen war, sprach er so selig gern und darum so ausführlich von ihr. Er war kein Mann der Phantasie; man hörte jedem Wort an, daß er nicht übertrieb. Was für ein herrliches Weib mußte diese Yin sein, deren Einwirkung ihn so vertieft und so veredelt hatte! Ich muß natürlich kürzer sein, als er es war.
Ihr Vater war droben in Hla-Sa, der Hauptstadt von Tibet, wo Dalai-Lama thront, Gouverneur des Kaiserreiches China gewesen. Dort wurde sie geboren, und daher kam es, daß ihre Füße nicht zu chinesischen Klumpfüßchen verunstaltet worden waren. Ihr Vater gehörte auch der adeligen Familie der Ki an. Er starb in Tibet. Sie kam mit ihrer Mutter nach Peking zu einem sehr wohlhabenden Bruder der letzteren, welcher ohne Frau und Kinder war und sein Leben nur im Studium der buddhistischen und konfuzianischen Lehren verbrachte. Er gewann das schöne, ganz eigen geartete Kind lieb und beschäftigte sich so viel mit demselben, daß es sich nach und nach in ihn einlebte und an seiner geistigen Tätigkeit den größten Anteil nahm. Das Mädchen lernte lesen und schreiben, bei Chinesinnen eine große Seltenheit, wurde in die Gedankenwelt des Oheims eingeführt und von diesem als Erbin nicht nur seines Vermögens, sondern auch seiner Seelenwelt betrachtet. So wuchs sie heran, immer schöner werdend, doch nichts begehrend, als nur für die Mutter und den Oheim leben zu dürfen. Dieser ahnte in seiner Bescheidenheit gar nicht, daß er ein berühmter Gelehrter war, den sogar Ausländer aufsuchten, um ihn kennenzulernen. Er war der englischen Sprache mächtig und brachte seine Mußestunden gern damit zu, auch seine Nichte in dieselbe einzuführen. So kam es, daß sie europäische Bücher lesen lernte und vom Onkel die Erlaubnis erhielt, mit den Frauen der abendländischen Gesandtschaft zu verkehren. Was bei einem Mann die ganz gewisse Folge gewesen wäre, nämlich ein innerlicher Zwist zwischen der heimischen und der fremden Anschauung, das wurde bei Yin zum freundlichen Streben beider, in ihr zu einer vollen, friedlich klaren Harmonie zusammenzuklingen. Und wie es ganz gewiß ist, daß die Seele die plastische Entwicklung, des Körpers beeinflußt, so wurde es je länger desto schwerer, aus den Gesichtszügen dieses Mädchens die mongolische Abstammung zu folgern. Und grad diese Durchgeistigung des einen von dem andern war es, wodurch Raffley sofort und für immer gefesselt worden war, als er sie bei dem Besuch einer englischen Familie zum ersten Male gesehen und gesprochen hatte. Ein so ungewöhnlicher Mann wie er konnte allerdings auch nur durch ein so seltenes Wesen wie sie zu dem Entschluß bewogen werden, alles an das große Glück zu setzen, sie sein eigen nennen zu dürfen. Indem er in dieser Weise von ihr sprach, sagte er:
„Ich fühlte es, als ich sie kennenlernte, doch klar ist es mir erst nach und nach geworden, daß in ihr die Vereinigung zweier Ideale Gestalt und Leben gewonnen hat. Wird die Erde jemals ein einig einziges Schönheitsideal besitzen? Ich weiß es nicht. Aber meine Yin ist es, nach der ich es meißeln oder malen würde, wenn ich Künstler wäre! Und ich meine das nicht nur in körperlicher Beziehung. Die Summe aller seelischen Vorzüge kann nichts anderes als nur Güte sein, und Yin ist ganz unfähig, etwas anderes zu sein als nur die Güte selbst. Ich habe um sie gedient, wie Jakob einst um seine Rahel diente, zwar nicht so lange, aber mit derselben Opferwilligkeit. Sie liebte mich, doch ihr Oheim weigerte sich, sie der Gefahr auszusetzen, sich von einem abendländischen Edelmann, dessen Verwandte sie nicht anerkennen würden, später vielleicht verlassen zu sehen. Da lernte ich Ki Tai Schin kennen und verkehrte täglich mit ihm, doch ohne ihm auch nur ein einziges Wort über Yin zu sagen. Ich hatte früher die mongolische Rasse tief unterschätzt, wie fast jeder Europäer es tut, doch war es der Liebe gelungen, mir die Augen zu öffnen. Yin lebte in mir. Das gewann mir die Freundschaft dieses so hochgebildeten und weitblickenden Mandarinen. Er erfuhr den eigentlichen Grund meines Handelns nicht, aber wir wurden miteinander einig, das Werk zu schaffen, von welchem Ihnen sein Sohn berichtet hat.“
Raffley hatte sich diesem Werk mit größtem Eifer hingegeben, doch erst als es zu einem überzeugenden Beweis gediehen war, hatte der Oheim ihn benachrichtigt, daß er ihn nun auch persönlich näher kennenlernen wolle. Um diese Zeit war es, daß Fu, wie ich
Weitere Kostenlose Bücher