31 - Und Friede auf Erden
welche er nach unserer Ankunft zu verteilen hatte, und der Governor war heut von einer Nervosität, welche ihn fast ungenießbar machte. Ich versuchte einigemal, ein Gespräch mit ihm zu beginnen; er hielt mir aber nicht stand. Das war wohl freilich zu begreifen, weil die Entscheidung nun so nahe lag. Bei einem dieser Versuche sah er mich wie ratlos an und sagte:
„Wißt Ihr, Sir, was morgen geschieht, schon morgen? O, diese Yin! Ich wünsche sie ins Pfefferland und freue mich doch fast wie ein Kind auf sie! Ist das nicht verrückt! Werde ich gewinnen oder verlieren! Pshaw! Ich brauche ja nur fest zu behaupten, daß sie mir nicht gefällt, so habe ich den Sieg! Aber erstens wäre das eine Lüge, weil mir doch schon ihr Bild gefällt. Zweitens liegt mir dieser alte, liebe John am Herzen. Sollen wir ihn um alles, alles bringen, weil er so klug ist, wirklich glücklich sein zu wollen? Und drittens, hm, drittens kommt mir diese ganze Wette so unsinnig vor, daß ich mich gar nicht begreife. Wie ein vernünftiger Mensch nur wetten kann!“
Das klang grad aus seinem Mund so sonderbar, daß ich ein Lächeln nicht unterdrücken konnte. Er sah das und fuhr schnell und fast zornig fort:
„Lacht nur, Sir, immer lacht! Wer hat denn diesen Hieb gegen John und mich geführt? Ihr! Jede Wette ging verloren, nur die Eurige nicht. Und Waller wird die seinige auch bezahlen müssen! Nun treibt mich heut die Ungewißheit hin und her, und ich kann mir nicht einmal mit einer Wette Luft machen! Und wenn ich könnte, so würde ich es doch nicht tun, denn ich – ich – wette nie in meinem Leben mehr. Hört Ihr es? Nie! Und daran seid Ihr schuld, Ihr fataler, schrecklicher – guter, lieber Mensch!“
Er drehte sich auf den Hacken um und ließ mich stehen. Der Kampf des Menschen mit sich selbst ist der schwerste, den es gibt. Er gelingt nur wenigen, ihn bis zum Ende und siegreich durchzuführen.
Am Abend dieses Tages geschah etwas sehr Eigenartiges, sehr Unerwartetes. Der Kranke hatte, ohne die Augen zu öffnen oder ein Glied zu bewegen, dreimal mit starker, befehlender Stimme verlangt, aus der Kajüte hinaus auf das Deck geschafft zu werden. Er wolle den Strahl von oben direkt auf sich leuchten sehen. Mary meldete das Tsi, und dieser war so bedachtsam, erst dann zu bestimmen, nachdem er mit Fang hierüber gesprochen hatte. Beide trafen in der Meinung zusammen, daß man den Wunsch zu erfüllen habe, zumal der Abend ein sehr ruhiger und selten schöner war. Natürlich war Waller nur mitsamt dem Lager zu transportieren. Es wurde herausgeholt und bis nach Yins Kajüte getragen, weil dieser Platz am besten hierfür paßte. Ich stieg mit Fang auf das Verdeck dieser Kajüte, von wo aus wir den Kranken nahe unter uns hatten. Tsi und Mary nahmen ihre Stellung zu seinen beiden Seiten.
Er lag zunächst mit geschlossenen Augen. Erst nach längerer Zeit öffnete er sie und schaute zum Firmament empor. Er sagte nichts. Seine Seele war nicht nach außen, sondern nur in ihm beschäftigt. In dieser Stille verging eine lange, lange Zeit. Da kam der Mond im Osten aus der See gestiegen. Der Kranke wurde zunächst unruhig; dann lag er wieder still. Und plötzlich, so unerwartet und so laut, daß wir fast erschraken, ertönte seine Stimme:
„Gebt Liebe nur, gebt Liebe nur allein;
Laßt ihren Puls durch alle Länder fließen;
Dann wird die Erde Christi Kirche sein,
Und wieder eins von Gottes Paradiesen!“
Wir konnten ihn nur sehen, wenn wir uns von oben vorbeugten, und da wir befürchteten, ihn dadurch zu stören, so wurde es von jetzt an unterlassen. Wir vermieden jedes, auch das geringste Geräusch, und so hörten wir, daß er vor sich hin flüsterte. Dann wurde seine Stimme wieder laut:
„Steigt nieder, die ihr jetzt am Himmel strahlt, zu der, die euch nur aus der Ferne kennt, zur Welt des Scheins, die mit dem Lichte prahlt, obgleich sie nichts als nur Geborgtes brennt! Steig nieder, heiliger Stern von Ephrata, der du der Stern der wahren Liebe bist; erscheine, wie's in jener Nacht geschah, und zeige uns wie dort den wahren Christ!“
Ich sah den Sprechenden nicht, und dadurch bekam das, was er sagte, einen ganz eigenartigen, unbeschreiblichen Klang für mich. Es kam wie aus großer Tiefe oder weiter Ferne, wie aus der Zeit des alten Testaments. Nun fuhr er fort:
„Wo ist die Liebe, die am ersten Tag der Menschheit Christi arm geworden war, die ohne Dünkel in der Krippe lag und Demut übte stets und immerdar? Wo ist die Liebe, die zum
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