31 - Und Friede auf Erden
er sich niedersetzte. „Hab auch allen Grund dazu, daß ich strahle! Bin begeistert, bin elektrisiert, bin entzückt, bin berauscht, bezaubert, fasziniert, bin einfach weg, weg, weg!“
„Hm!“ machte ich.
„Was, hm?“ fuhr er auf. „Ist etwa etwas nicht richtig, Sir?“
„Hm!“ wiederholte ich.
Da stand er auf, breitete die Arme aus, dehnte und reckte sich nach allen Richtungen, holte tief, tief Atem, setzte sich wieder nieder und sagte dann:
„So! Jetzt will ich mir Mühe geben; aber nun brummt mir auch nicht mehr! Übrigens, Ihr habt recht, vollständig recht: diese Ausdrücke waren nicht am Platz. Es gibt Gefühls- und Erkenntnissphären, in denen Redensarten wie ‚entzückt‘, ‚begeistert‘, ‚wundervoll‘ usw. nicht nur lächerlich, sondern geradezu verbrecherisch sind. Das war mir bisher fremd; nun aber sehe ich es ein. Ich habe mich von jetzt an mit solchen tief da unten liegenden Dingen nicht mehr zu befassen, denn ich bin gehoben worden, hoch, hoch emporgehoben. Schaut mich einmal an, Charley! Was meint Ihr wohl, wer ich bin?“
„Doch wohl der, der Ihr bis jetzt gewesen seid!“
„Nein! Sondern ein ganz anderer! Alles, alles, was ich mir einbildete, ist weg, vollständig weg! Ich war nichts, gar nichts! Erst heut bin ich Mensch geworden, ein wirklicher Mensch! Und erst heut wurde ich geadelt, erst heut! Ich war ein ganz gewöhnlicher Mann. Blaues Blut, na ja, meinetwegen! Aber das Edle, das Edle, das wirklich und vollkommen Edle, für das es keine Werte und keine Beschreibung gibt, das ist erst heute in mir aufgewacht, ganz plötzlich und mit aller Gewalt, als diese unbeschreibliche Yin bei mir erschien und vor mir niederkniete! Ich zähle über sechzig Jahre, habe aber nicht mehr als nur zwei wirklich bedeutende Augenblicke erlebt – – – innerlich bedeutend meine ich. Das war in Kota Radscha, als mein Freund, der Heidenpriester, unsere Mary Waller segnete. Und das war vorhin hier in Ocama, als von der Chinesin eine Segensfülle auf mich überging, die ich sogar auch äußerlich empfand, so ähnlich wie den Strom eines magnetischen Apparates.“
Er hielt inne, schaute in das Weite, über die See hinüber, und setzte dann seine Rede fort, nicht wie an mich gerichtet, sondern als ob er alles nur sich selbst zu sagen habe. Er hatte sich halb von mir abgewandt und sah mich auch nicht an.
„Sonderbar, höchst sonderbar! Es war einmal ein indischer Brahmane bei mir, mit dem ich viel über ernste Dinge sprach; der erzählte mir folgendes: Der Mann wurde in Indien erschaffen, das Weib aber in Persien. Da lag zwischen hohen Bergen der ‚heilige See‘ und gleich daneben der sumpfige ‚See der sündigen Gewässer‘. Der heilige See trug nur eine einzige, rein weiße, fleckenlose Lotosblume. Keine Fliege und kein anderes Insekt wagte sich in ihre Nähe. In dem Sumpf aber gab es Blumen in Hülle und Fülle. Sie prangten in allen Farben und schienen schöner zu sein als selbst die Lotos in der klaren, lauteren Flut. Aber sie dufteten wie nach Aas, und dieser Gestank, den sie verbreiteten, zog allerlei unreines Getier in großen Mengen zu ihnen hin. Da kam Ormuzd, der Gute, im Vollmondschein gegangen, bis an den heiligen See, und sah die Lotosblume. ‚Das ist die Blüte, die aus meinem Himmel stammt‘, sagte er bei sich. ‚Ich werde sie dem Menschen bringen, den ich heute schuf, daß sie an seinem Herzen blühe und ihre reine Seele ihn aufwärts leite nach der Seligkeit.‘ Er winkte ihr; sie kam herbei geschwommen, und als sie an das Ufer stieg, besaß sie menschliche Gestalt und war – – – das erste Weib! – – – Kaum hatte sich der Herr mit ihr entfernt, so kam auch Ahriman, der Fürst des Bösen. Er ging zum See der sündigen Gewässer und sprach mit arger List: ‚Das sind die Blüten, die aus meiner Hölle stammen. Ich werde sie den Menschen bringen, die nun von heute an geboren werden, damit man sie für Lotosblumen halte und darum Gottes Himmel meiden lerne. Verflucht sei fortan jedermann, der diese Reine liebt, die ich dort gehen sah!‘ Er winkte. Da kamen sie herbei geschwommen, die bunten Blumen aus dem Wasser des Gestanks, und als sie an das Ufer stiegen, besaßen sie die menschliche Gestalt und waren Frauen, viel schöner noch als jenes Weib! – – – Wißt Ihr, Charley, wo Ihr die Seele jener Lotosblume, jener von Ormuzd geschaffenen Frau zu suchen habt?“
„In unserer Yin?“
„Ja. Aber warum sagt Ihr es? Ich selbst wollte es doch sagen!
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