Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
zu erwarten.
    „Ja, das ist es“, sagte er. „Der alte, drüben in der Heimat aufragende Burg- und Schloßbau der Raffleys wurde aus Quadern von allerschwerstem Grampiangranit errichtet. Er ist der Leib, dessen Seele Sir John herüberholte, um sie hier in leuchtenden Paitang-schi-tou (Weißzuckerstein: Marmor) zu kleiden. Der Urbau dort hatte nur dem Interesse der Familie, des Klan zu dienen. Er war der aufwärts ragende Stamm, der sich von diesen Interessen nicht zu lösen vermochte. Sir John und seine Yin aber machten die Seele hier von diesem Zwang frei, indem sie ihr die Flügel gaben, die sich im Dienst unserer ‚Shen‘ nach beiden Seiten regen. Das sind die Gebäude, die sich rechts und links vom Stamm zweigen und ganz ausschließlich nur humanen Zwecken dienen. Hierdurch entstand das Kreuz, denn wo der einzelne oder die Familie beginnt, sich der hilfsbedürftigen Brüder anzunehmen, da steht das Tor zum Himmelreich offen, von welchem alle unsere Weisen sprachen, bis Christus kam, um diese Worte in Taten zu verwandeln.“
    Wie erstaunt war ich, solche Worte, solche Ausdrücke aus dem Mund dieses Chinesen zu vernehmen! Wo hatte er diese Gedanken, diese inneren Anschauungen her? So wie er konnte doch nur jemand sprechen, dem geistige Gebiete wie Ästhetik, Psychologie und Metaphysik nicht nur bekannt, sondern vertraut geworden sind! Mein Gesicht schien ihm das, was ich soeben dachte, zu verraten, denn er lächelte ein wenig vor sich hin, deutete hinaus nach der Stelle, wo das Kreuz erglänzte, und erklärte mir:
    „Dieser Bau ist allerdings noch nicht ganz vollendet, weil Raffley so lange Zeit abwesend war. Aber vorbereitet ist alles, und was dort jetzt noch fehlt, das ist in Shem-Fu angelegt, um später nach dem Schloß versetzt zu werden, besonders auch die Schule, der ich es verdanke, daß ich in dieser Weise mit Euch reden kann. Der oberste Professor ist der alte, liebe Pfarrer Heartman von Raffley-Castle drüben, den man eines jüngeren Geistlichen wegen dort pensioniert hatte. Als Sir John dies erfuhr, nahm er sich, ohne seine Verwandten davon zu benachrichtigen, dieses hochehrwürdigen Dieners der christlichen Kirche an, indem er ihn hierher zu uns, also in das Land der sogenannten Heiden rief, doch nicht als Missionar, sondern als Leiter der Unterrichtsanstalten unserer ‚Shen‘. Ich war sein erster Schüler und lerne noch heut von ihm. Nie hat ein Andersgläubiger ein widersprechendes, verwerfendes oder gar verdammendes Wort aus seinem Mund gehört. Er findet an jedem Glauben so viel Verwandtschaft mit seiner eigenen Religion und weiß das in so außerordentlich gewinnender und überzeugender Weise zu sagen. Und es geht jedermann genauso wie mir: Je länger man mit diesem herrlichen Gottesmann spricht und verkehrt, desto mehr sieht man ein, daß Christus das wirklich war, als was er sich bezeichnete, nämlich der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wir glauben hier alle an ihn!“
    „Shen-Fu ist die Stadt, nach welcher die Straße von dem Weg nach Raffley-Castle da draußen links abgeht?“ erkundigte ich mich.
    „Ja“, nickte er. „Der Name bedeutet, wie Ihr wissen werdet, Hauptstadt der ‚Shen‘. Unser großer Mandarin und Sir John haben das Gebiet, auf welchem wir wohnen, zwar Ki-tsching genannt, beliebter und gebräuchlicher aber ist das Wort Shen-Kuo, was ‚Land der Shen‘ bedeutet. Unsere Verbrüderung geht über Länder, in denen über siebenhundert Millionen Menschen wohnen, und wir wünschen, daß sie immer weitergreifen möge, hoffentlich auch bis in das Abendland hinüber; aber ihre Wurzeln schlägt sie nur in diese kleine Strecke, für welche dort vom Bergesdunkel das Kreuz der Nächstenliebe leuchtet. Doch, seht, da geht die Wolke über unsern Himmel, und Raffley-Castle ist nicht mehr zu sehen. Setzen wir also den Weg zum Hafen fort!“
    Während wir weitergingen, fragte er mich, ob ich Ocama wohl schon kenne. Ich verneinte das, und so machte er mich unterwegs auf alles Wissenswerte aufmerksam, was uns am Weg lag. Ganz auffallend war die Menge der Areka- oder Betelnüsse, die es hier gab. Ich sah große Prauen gefüllt mit ihnen; sie waren in jedem Laden zu verkaufen, und in Kisten lagen sie hoch aufgeschichtet am Ufer, um nach allen Orten, wo es Mitglieder der ‚Shen‘ gab, versandt zu werden.
    „Wundert Euch nicht hierüber“, sagte mein Begleiter; „sie sind ja unsere Erkennungszeichen, unsere Legitimationen, ohne welche wir niemals erreichen könnten, was wir erreichen

Weitere Kostenlose Bücher