31 - Und Friede auf Erden
werd' eingehn. Amen!‘
Die zweite Tafel war chinesisch; aber man sollte es in alle Sprachen übersetzen, obgleich es vielen, vielen nicht gefallen würde. Es lautete:
‚Werft von Euch fort den falschen Heil'genschein,
Und borgt nicht mehr auf des Erlösers Namen.
Laßt uns vor allen Dingen Menschen sein,
Damit wir Christen werden können. Amen!‘
Fu hat da nicht etwa allein für sich gesprochen, sondern im Namen seines ungeheuer großen Landes, im Namen der ganzen mongolischen Rasse, wahrscheinlich auch im Namen aller, die nicht Kaukasier sind, und endlich ganz gewiß im Namen aller derer, die Christi Gebot noch nicht vergessen haben, daß wir unseren Nächsten lieben sollen wie uns selbst! Alle diese Leute werden das Christentum nicht etwa nur auf sein Verhalten zu Gott hin prüfen, sondern vor allen Dingen dahin, ob es den, dem es angeboten wird, in seinen angeborenen Menschenrechten schütze und ihn vor innerer und äußerer Vergewaltigung bewahre. Durch diese zweite Tafel wurde ich sofort nach meinem Eintreffen hier in die Anschauung dieses ganzen Reiches und seines Volkes eingeweiht. Wer anders schreibt und anders spricht, der kennt die Chinesen nicht, selbst wenn er jahrzehntelang bei ihnen gelebt hat. Die Volksseele offenbart sich nicht jedermann, aber wenn sie es tut, dann ganz, mit einem Mal!“
Als er jetzt wieder schwieg und hinüberschaute nach dem Sonnenspiel am Waldrand, da schien er mir dem malaiischen Priester so genau zu gleichen, als ob sie beide Brüder seien, die Söhne einer und derselben Mutter. Welche Mutter wäre da wohl gemeint? Er trat ganz an den Abhang, hob den Arm gegen Westen und sprach, als ob er da hinauszureden habe zu vielen, vielen Leuten in der Ferne:
„Ich wiederhole es, das ernste, schwere Warnungswort: ‚Werft von euch fort den falschen Heil'genschein, und borgt nicht mehr auf des Erlösers Namen. Laßt uns vor allen Dingen Menschen sein, damit wir Christen werden können. Amen!‘ Das liegt hier eingemauert unter der Kapelle. Das ist hier in China der einzige, der allereinzige Boden, auf dem Ihr Eure christliche Kirche errichten könnt. Das sollte in riesengroßer, meilenweit zu lesender Schrift über allen Meerengen stehen, durch welche Ihr zu segeln und zu dampfen habt, wenn Ihr vom Westen nach dem Osten kommt, um Eure Seligkeit hier auszubreiten! Nur Menschen können Christen werden. Wer trotz aller seiner äußeren Kultur im Innern doch noch Anthro-Bestie ist, der bleibe ja daheim, denn es würde ihm ergehen, wie es morgen den Fan-Fan ergehen wird: Er macht sich lächerlich; er blamiert und schädigt seine eigene Rasse, sein eigenes Vaterland und seine eigene Religion, das herrliche, das ewig unvergleichliche Christentum!“
Nun wandte er sich mir und der Kapelle wieder zu und sagte unter einem so rührend glücklichen Lächeln:
„Wie habe ich dies mein kleines Bethaus lieb, so lieb! Es ist die Pforte zu meinem großen, großen, unsichtbaren Gotteshaus, dessen Dach sich wölbt, so weit mein altes Auge reicht, und dessen Säulen ragen allüberall, wo ich ein Herz gezeigt und dafür mir ein anderes gewonnen habe. Hier begann ich, über die Gottmenschheit Christi eigentlich erst richtig nachzudenken. Er kam zu uns und ging, um uns ein Beispiel dazulassen. Wir sollen sein wie er, an Liebe, Demut und Erbarmen reich, und stark, wie er es war, an Wundertaten. Genau dieselben Wunder, die er als Gott verrichtete, sind uns ermöglicht durch die Menschlichkeit, die uns das Göttliche im Menschen zeigt und deutet. Hierbei muß ich Euch sagen: Während Ihr beim Essen saßet, war Euer Diener hier, Sejjid Omar, der Muselmann. Was für ein Mensch ist das! An ihm ist auch ein Wunder geschehen – – – durch die Menschlichkeit! Er gibt seinen Koran und seinen Mohammed gewiß niemals her, aber wie er seinen ‚Jesus, Mariens Sohn‘, verehrt, so weit hinauf reicht ihm sogar der Islam nicht.“
„Ihr habt also bereits mit ihm gesprochen?“ fragte ich.
„Jawohl. Fast eine ganze Stunde. Und ihn schnell liebgewonnen! Er hat eine so eigene Weise, die aber überzeugt, obgleich man aufpassen muß, ihn zu verstehen. Er sprang mitten in einer Erklärung auf, die ich ihm zu geben hatte, und bat mich, still zu sein, denn es sei ihm da ein Gedanke gekommen, über den er sofort nachdenken müsse, um ihn seinem Sihdi zu sagen. Damit rannte er in großer Eile fort.“
„So ist er“, nickte ich. „Die Folgen dieses seines Nachdenkens werden mir auf keinen Fall erlassen
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