31 - Und Friede auf Erden
unbeschreiblichen Katastrophe. Da, wo ganz vorn, hinter den Bäumen und Sträuchern der Pflanzengruppe, das Paradies zu vermuten gewesen war, schien alles in hellen, verzehrenden Flammen zu stehen. Die glühende Hitze schleuderte die zersprengten, schieferigen Reste des Gesteins hoch in den Lüften herum. Schwefelgelb, von orangenen Blitzen durchschossen, schlug die Lohe heraus und warf über die Gruppe am Felsen und die verzerrten Gesichter der Fliehenden ein, ich möchte sagen, alle Hoffnung verzehrendes Licht. Dieses Gelb verwandelte sich in immer tiefer werdendes, diabolisches Rot, welches sich schließlich zu einem häßlich schmutzigen Violett verdichtete, in dem weder Mensch noch sonst etwas mehr zu unterscheiden war.
Bis hierher durfte ich mich in der Beschreibung dieses Bildes wagen, weiter aber nicht; die Gründe habe ich bereits angegeben. Auch über die Wirkung will ich nur das eine sagen, daß es mir unmöglich ist, sie in Worte zu fassen. Ich hatte unter dem gewaltigen Eindruck dieses Meisterwerkes ein innerlich bohrendes, verzehrendes Gefühl, eine Empfindung, als ob ich selbst auch als einer dieser Unglücklichen dazu verdammt worden sei, die Erde nun für die Hölle und die Menschen für Teufel zu halten. Ich war so ergriffen und innerlich so tief gepackt, daß ich erst nach und nach die Akkorde beobachtete, welche, als ob sie hierzu gehörten und von den Bildern unzertrennlich seien, durch den Saal erklangen. Oder hatten grad sie mit dazu beigetragen, das, was ich sah, zu erfassen und zu vertiefen?
Da wurde dieser eine Vorhang wieder vorgezogen, und der andere bewegte sich von seiner Stelle. Gleich der erste Blick zeigte mir, daß ich mich in ganz genau derselben Gegend befand, in späterer, später, vielleicht gar zukünftiger Zeit. Ein herrliches, reines, orientalisch heiliges Sonnenlicht fiel auf das Land des alten Erdenfluches. Kann man an Luft und Licht erkennen, daß heut nicht Werktag, sondern Sonntag sei? Gewiß, wenn der Maler wirklich ein Künstler ist! Es war hier Feiertag, am Tag des Herrn, in Gottes Morgenfrühe! Und durch das Land der Hölle kamen sie gezogen, die jetzt nun wirklich Menschen waren, in allen Rassen, allen Farben und jeder Tracht, die es auf Erden gibt. Erst einzeln langsam, zagend, mit bangen Fragen im Gesicht. Dann zu zweien, dreien, ferner mehr und immer mehr, einander rufend, winkend, zujubelnd. Hierauf weiter mehr und mehr, in Gruppen, in Haufen, endlich gar in Scharen. Der Horizont ist dunkel von Unzähligen, die zu entfernt sind, als daß sie sehen könnten, was am Tor des Paradieses geschieht. Aber sie hören, und sie glauben, und der Glaube ist der Weg zur Seligkeit.
Und allen voran, an der Spitze der noch Zagenden, geht er, der Menschengeist. Wie bescheiden – wie demütig – wie gering und arm! Ein Bettler – doch wohl wissend, daß seine Bitte nicht vergeblich sein, daß sein Gebet Erhörung finden werde. Er schaut zwar still und unterwürfig drein, jedoch auch hoffnungsvoll, fast scheint es, zuversichtlich! Denn gar nicht weit von ihm steht Gottes Pforte offen, das Tor des Paradieses, das neu erstanden ist, und hinter seinen aufgeschlagenen Flügeln erscheinen die Gestalten heiliger Wächter, die er, der Vater, dem einst verlorenen, nun aber zurückkehrenden Sohn entgegensandte, ihm seine Tür zu öffnen.
Und grad vor dieser Tür und grad in diesem Augenblick geschah, was jene alte Sage schon seit Jahrtausenden der Welt versprochen hatte: Da stand der Satan, und da stand die ‚Hen‘. Sie hielten sich gefaßt und deckten mit ihren Gestalten den schwarzen Felsen und das Grab, in welches damals ‚Shen‘, die Himmlische, verborgen worden war. Was stand da wohl auf ihren Gesichtern geschrieben? Haß und doch Anbetung, das ganze Entsetzen der letzten, höchsten Angst und dennoch aber die Freude, daß endlich, endlich nun alles vorüber sei, daß Hölle und Teufel auf ewig verschwinden müsse und die Menschheit nun nicht mehr belogen und betrogen werden könne!
Denn es war einer sogar dem Menschengeist vorangeschritten, den Weg zur Seligkeit herauf, und hier bei ihnen stehengeblieben. Der Einzig-eine, dem niemals jemand widerstehen konnte und widerstehen wird. Er trug das arme, dürftige Gewand der Nazarener, aber auch die vier Nägelmale, von denen kein Teufel hören kann, ohne zu zittern! Als er die beiden stehen sah, hob er gebieterisch die Rechte gegen sie und deutete mit der Linken nach dem Abgrund, der damals so viele Unglückliche verschlungen
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