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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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fort, um mich bei Doktor Tsi nach Waller zu erkundigen. Fang war bei ihm. Sie waren in ausgezeichneter Stimmung, ihres Patienten wegen. Dieser hatte bald nach Mittag die Augen aufgeschlagen und war seitdem so munter gewesen, als ob er im ganzen Leben nicht wieder einschlafen wolle. Er las in dem früher so verpönten Buch ‚Am Jenseits‘, und wenn er der Augen wegen eine Pause machen mußte, bat er Mary, von da an, wo er aufgehört hatte, laut vorzulesen. Er hatte den Vorsatz ausgesprochen, die Augen nicht eher wieder zu schließen, als bis dieses Buch zu Ende gelesen sei, und so kam es, daß Mary uns anderen sagen und sich entschuldigen ließ, sie könne nicht beim Abendessen erscheinen. Wir hatten ein längeres Gespräch über diesen uns vorliegenden Fall, und ich fand da wieder einmal Gelegenheit, den Umfang des geistigen Besitzes dieser beiden Männer und die Klarheit ihrer Einsicht zu bewundern. Das Feld, auf dem wir uns bewegten, war die Psychologie, und wenn ich sage, daß sie die Begriffe Geist und Seele scharf zu definieren und den Unterschied zwischen beiden ganz genau anzugeben wußten, so brauche ich nur noch hinzufügen, daß sie auch den Mut und die Energie besaßen, aus diesen Überzeugungen und Kenntnissen die ganz natürlich sich ergebenden Konsequenzen zu ziehen.
    Bei Tafel fehlten dann nicht nur Waller und Mary, sondern auch Fu, welcher telefonisch nach Ocama zurückgerufen worden war, weil der Kapitän des Opiumschiffes aus Binh-Dinh sich wieder eingefunden hatte und für morgen gewisse Vorbereitungen zu treffen begann, welche den Hafenmeister zwangen, ihn und seine Bewaffneten einzusperren. Dilke war nicht mit dabeigewesen. Übrigens, hätte es sich nur um den verpönten Opiumhandel und nicht zugleich auch um einen Gewaltstreich nebenbei gehandelt, so wäre der Pu-Schang an sich Manns genug gewesen. ‚Seine Exzellenz, den Europäer‘ vorausgesagter weise aus dem Hafen schaffen und draußen verbrennen zu lassen.
    Unser Kreis am Tisch war nicht sehr groß. Rechts von mir saß Pfarrer Heartman, links der Ökonom von Raffley-Castle, ein hochgebildeter Chinese, der seine Studien in England, Frankreich und Italien gemacht hatte und sich wiederholt bei mir entschuldigte, daß er nicht auch in Deutschland gewesen sei. Mir gegenüber saß Yin.
    Man wird sich erinnern, daß ich auf Sumatra zum Governor sagte: „Dieses Porträt der Yin ist ein Rätsel, ein neues, ein schönes, ein entzückendes Rätsel, an dessen Lösung ich mein Leben setzen würde, wenn ich Maler wäre!“ Nun hatte ich das Original des Bildes gerade vor meinen Augen. Wie stand es um das Rätsel? War es noch da? Verdichtete es sich? Oder begann es bereits, sich aufzulösen? Ich will da einmal sehr wichtig tun und den Geheimnisvollen spielen. Bekanntlich ist dem Schriftsteller viel, sehr viel erlaubt; ich aber gehe noch weit über dies hinaus und erlaube mir etwas, was sich noch keiner dieser Herren je gestattet hat, nämlich – zu schweigen! Ich beschreibe unsere Yin auch heut noch nicht und jedenfalls auch morgen und übermorgen nicht! Und ich habe ein Recht dazu, denn alle meine bisherigen Reiseerzählungen sind nur Vorstudien, Übungen und Skizzen, bei denen ich lang oder kurz, breit oder schmal sein kann, ganz wie es mir beliebt. Ich habe ja bereits gesagt, daß ich kein Künstler bin, und fühle mich also frei von jedem Zwang, unter dem – – – bald hätte ich gesagt: Die Kunst zu seufzen hat. Als ob die wahre Kunst, der wahre Künstler irgendeinem Zwang zu gehorchen hätte! Im Gegenteil, die Kunst ist die Bezwingende; sie macht sich alles, alles Untertan!
    Ich saß ihr heut gegenüber, ihrer schönsten, ihrer überzeugendsten Personifikation – unserer Yin. Aber man glaube ja nicht, daß sie viel erzählt und viel erklärt und überhaupt viel gesprochen habe! Und man glaube auch nicht, daß ich erzählen werde, wovon wir uns unterhielten! Ich hoffe, nun bald über die Zeit der Vorübungen und Studien hinaus zu sein. Und ich hoffe, daß meine Leser mit mir bis hierher gegangen sind, wo sie mich nun wohl begreifen oder doch wenigstens begreifen wollen. Dann hören wir mit diesen Etüden und Vorarbeiten auf und gehen an das eigentliche Werk. Die Leinwand wartet ja schon längst darauf. Und Yin, die einzig wahre Kunst, wird uns den Stift, wird uns den Pinsel führen! Sie hat es mir an diesem Abend versprochen, und ich weiß, sie hält ihr Wort!
    Wir saßen da wohl bis Mitternacht beisammen. Da wurde John an den

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