31 - Und Friede auf Erden
Dingen sei zu verhüten, daß der alte, von ihm gewichene Geist wieder über ihn komme, der starre, blutleere Geist der Wallerschen Familie, welcher den Inhalt einer alten, bigotten Hauspostille hoch über das herrliche Gotteswort der Bibel setze und die ganze Menschheit zwingen wolle, in den engen, harten, mit geistigem Fischtran eingeschmierten Wasserstiefeln einer vollständig unbekannten, schrullenhaften Sippe nach den erhabensten Zielen unseres gegenwärtigen Daseins wettzurennen!
Während er dieses sagte, war ihm anzusehen, daß ihm im Sprechen ein Gedanke kam. Er richtete sein Auge dabei auf mich und dann auch seine Worte:
„Ich habe da einen Gedanken, der diesen Geist betrifft. Er ist nicht mehr da. Wo ist er hin? Wann wich er von Waller? Er wurde gezwungen, ihn zu verlassen; aber er tat dies nur widerwillig, nur nach und nach. Noch vorgestern bemerkte ich Spuren von ihm. Nun höre ich, daß ein Verwandter von Waller anwesend ist, ein Neffe von ihm, genau in demselben hartnäckigen, unduldsamen Geiste erzogen und mit sogar noch größerer Strenge dressiert, so daß er es nicht mehr aushalten konnte und seinen Peinigern davongelaufen ist. Diese beiden, Onkel und Neffe, sind einander hier noch nicht begegnet, nämlich körperlich. Auf geistigem Gebiet liegt das jawohl ganz anders. Der Onkel wußte von der Anwesenheit des Neffen nichts; wir verschweigen sie ihm sogar noch jetzt. Der Neffe aber hörte von Eurem Sejjid Omar, daß sein Oheim sich auf Ocama befinde. Dieser Umstand ist mir im höchsten Grade wichtig. Wollte ich selbst den Sejjid fragen, so würde das seine Unbefangenheit stören. Darum bitte ich Euch, es Euch noch einmal erzählen zu lassen. Es kommt mir darauf an, zu erfahren, was für ein Gesicht und was für Bewegungen Dilke machte, als er von Waller hörte, und ob und was für Worte er dabei sagte. Nämlich, es ist ungefähr drei Uhr nachmittags gewesen, da ist Waller plötzlich aus tiefster Ruhe emporgefahren und hat gerufen, doch ohne die Augen zu öffnen: ‚Old Saint nennt er mich noch immer! Und kommen will er mir! Well, so werde ich ihm kommen, und Old Saint soll nicht wieder von ihm gehen!‘ Sein Neffe hat ihn nämlich gehaßt und gegen andere stets nur als den ‚alten Heiligen‘ bezeichnet. Ist das nicht im höchsten Grade interessant?“
„Natürlich!“ antwortete ich. „Sogar so interessant, daß ich frage, warum ich das erst jetzt erfahre!“
„Ich habe es ja auch nicht gewußt. Mary hat es für ein ganz gewöhnliches, bedeutungsloses Traum- oder Gedankenbild gehalten, wie so häufig, wenn er während seiner Krankheit sprach, ohne wach zu sein. Erst als ich ihr heut, vorhin, ganz dasselbe sagte, was ich Euch mitgeteilt habe, wurde sie aufmerksam und berichtete mir diese seine hochinteressanten Worte. Also bitte, fragt den Sejjid, aber laßt ihn so antworten, daß er keine eigenen Gedanken beimischt!“
„Werde es tun“, versprach ich. „Liest Waller noch?“
„Ja. Gestern wurde er mit ‚Am Jenseits‘ fertig. Ihr könnt gar nicht ahnen, was Eure Beschreibung der Todesstunde für einen Eindruck auf ihn hervorgebracht hat! Heut will er die hervorragenden Stellen des Buches zum zweiten Male lesen. Auch will er bitten lassen, Yins Paradies sehen zu dürfen. Fang hat nichts dagegen, daß ich ihn in die Gemäldehalle tragen lasse. Er hat seit gestern einen förmlichen Riesensprung zur Besserung getan. Wenn das so fortgeht, hoffe ich, ihn schon nach kurzer Zeit vom Bett trennen zu können. Übrigens weiß er schon ebenso wie wir, daß Ihr der Verfasser seid, dessen Bücher er früher verboten hat.“
„Und nun? Was sagt er jetzt dazu?“ fragte John.
„Es ist ganz eigentümlich, wie er sich hierüber hören läßt. Gestern abend, als der letzte Satz von ‚Am Jenseits‘ gelesen worden war, lag er lange Zeit in stillem Nachdenken. Dann sagte er zu Mary: ‚Mein Kind, ich bin sehr grausam gegen dich gewesen, indem ich dir verbot, aus diesem Brunnen zu trinken. Und du hattest doch so großen Durst! Ich hielt es für Brandy und Julep, und es war doch das reinste, das lauterste Wasser! Ich weiß, daß ich krank gewesen bin, lange Zeit. Es war Dysenterie mit fürchterlichem Verfall der Körperkräfte. Aber ich muß auch vorher nicht recht gesund gewesen sein, nämlich da, da, im Kopf. Das scheint mir so! Denn wer solch eine Lektüre verbietet, der kennt sie entweder nicht, und dann handelt er unehrlich, oder sein Gehirn leidet an jener anderen Art der geistigen Armut, welche
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