31 - Und Friede auf Erden
außerordentlich aufgeweckte, intelligente Leute waren. Und dann folgten die ‚Spitzen der chinesischen Gesellschaft‘, mitten unter ihnen mein Sejjid Omar, der sich, soweit es ging, sehr lebhaft mit ihnen unterhielt. Er schien seine sprachlichen Erfahrungen heut ausgedehnt zu haben, denn ich hörte ihn in seiner Freude über die Gesellschaft, in der er sich befand, behaupten:
„Für jedermann, der Mitglied unserer ‚Shen‘ geworden ist, gibt es nur drei wirkliche, richtige Sprachen, weiter keine, nämlich die arabische, die deutsche und die chinesische; die andern sind alle bloß nur Redensarten. Also ich kann sprechen; mein Sihdi kann sprechen, und Ihr könnt sprechen. Was die andern sagen, das ist mir ganz egal!“
„Und die englische?“ fragte ich, indem ich mich nach ihm umwandte.
„Die fiel mir nicht gleich ein“, antwortete er. „Ich werde darüber nachdenken. Aber weil ich Miß Mary, den Governor und Sir John liebhabe, will ich einstweilen sagen: Sie ist zwar nicht bloß eine Redensart, aber doch weiter nichts als nur ein Dialekt. Nur wo man das ganze Volk lieb hat und nicht bloß einzelne, da gibt es eine Sprache!“
Indem es ihm nicht möglich war, seinen Gedanken einen bestimmteren Ausdruck zu geben, ahnte er nicht, daß es eine unendlich wichtige Wahrheit war, an welche er mit diesen Worten streifte.
Immer das herrliche Kreuz vor uns, sahen wir trotz der sonstigen Dunkelheit nun bald rechts und links die gigantischen Gingkobäume stehen. Dann erreichten wir den Spießtannenwald, in dem es wieder dunkel wurde. Aber als wir aus ihm wieder in das Freie kamen, wurde es um so heller: Der ganze, weite Platz vor uns war ein einziges, ununterbrochenes Meer von Licht, von Flammenstrahlen. So etwas hatte ich noch nie, noch nie gesehen, selbst nicht an jenem wohlbekannten lichten Abend im Tal meiner lieben Dschamikun, als das ‚verzauberte Gebet‘ im Schein der Riesenflammen stand, die meine ‚Seele‘ angezündet hatte!
Erst nun, erst jetzt war das Kreuz zum Kruzifix geworden. Es schwebte nicht mehr in der Luft, sondern es stand, stand auf der Erde fest. Das Dorf war überaus künstlich beleuchtet und illuminiert. Das hohe, breite Gerüst, welches heut früh bei unserem Ausritt noch nicht fertig gewesen war, bildete jetzt das riesengroße Zeichen ‚Shen‘ und stand in einer weithin leuchtenden Flut von heiligem Feuer. Aus diesem flammenden Postament der ‚Menschlichkeit‘, der christlichen Nächstenliebe, wuchs es empor, gewaltig himmelan, das Zeichen des Erlösers. Noch über seinem Scheitelpunkt, der Kapelle, leuchtete die ‚Humanität‘, der ‚Friede‘ rechts, die ‚Bruderliebe‘ links an seinen beiden Armen. Das waren die drei andern Gerüste, welche wir schon früh da oben in der Höhe gesehen hatten.
Wie das wirkte – – –! Wie es das Herz erhob – – –! Und Tränen des Gebetes in die Augen trieb – – –! Rundum saßen, lagen und standen Tausende und Tausende von Menschen, dicht bis ganz zu uns heran, die wir noch ganz am Waldesrand hielten. Der Ho-Schang war tief, außerordentlich tief ergriffen. Er sah vor sich viele, viele seiner bisherigen Buddhisten und sprach mit laut erhobener Stimme:
„Herr, deine Sonne leuchtet uns am seligen Himmelstag; in dunkler Erdennacht strahlt uns die Liebe derer, die unsre Brüder sind. Du hast sie uns gegeben, diese Liebe, damit wir in ihr wandeln bis zum Morgen, wo deine Sonne wiederkommen wird. So mach uns stark in ihr! Gib Kraft und guten Willen! Und gib auch das, was uns das Höchste ist hierzu im Himmel und auf Erden: Gib deinen Segen. Amen!“
Da kam ein Reiter langsam unter den nächsten Bäumen hervor. Es war Pfarrer Heartman, der hier auf uns gewartet hatte, um unsere Gäste, die in geistlicher Beziehung besonders die seinen waren, zu empfangen. Sein langes, silbernes Haar wallte weit auf dem Talar herab, den er heut abend trug. Er lenkte sein Pferd bis hin zu dem Ho-Schang und sprach, indem er seinen Arm erhob:
„Er gibt ihn dir durch diese meine Hand und diese meine Worte: Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr erleuchte dir sein Angesicht und sei dir gnädig. Der Herr erhebe dich zu seinem Angesicht und gebe dir Frieden! Der Herr segne dich und all die Deinen, Euer Kommen und Euer Gehen, nun und in Ewigkeit. Amen!“
Und sich an seine Seite lenkend, bat er ihn:
„Gib mir deine Hand, daß ich dich leite! Wir sind ja Brüder. Ich führe dich empor am Stamm des Kreuzes; das ist der Weg zu Christi
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