31 - Und Friede auf Erden
Paradies. Dort wirst du den Erlöser stehen sehen, an seiner Brust die ‚Shen‘. Ja, komm; ich führe dich!“
Er setzte sich mit ihm an unsere Spitze, und so ritten wir nun zwischen den Wiesen und Feldern und durch das Dorf den breiten Serpentinenweg hinauf zum lichtstrahlenden Schloß, an dessen Tor Tsi bereitstand, die neuen Gäste zu begrüßen. Ich ging so schnell wie möglich nach meiner Wohnung, denn ich hatte das Bedürfnis, zunächst für einige Zeit allein zu sein, um mit der Verarbeitung der heutigen, äußerlichen Eindrücke innerlich fertig zu werden. Ich hatte es mir aber kaum ein wenig bequem gemacht, so kam der Sejjid und sagte:
„Sihdi, ich habe ihn gesehen!“
Das war so seine Art und Weise, mir in das Haus zu fallen. Er nahm an, daß ich stets wisse, was er in Gedanken hatte.
„Wen?“ fragte ich.
„Dilke.“
„Ah! Gesehen? Wo? Etwa hier?“
„Ja, hier.“
„Wann?“
„Unterwegs. Weißt du, der Weg geht von unten an immer herüber und hinüber, bis man oben angekommen ist. Wenn man zum drittenmal herüberkommt, da stehen vier oder fünf dichte Bäume, die auf arabisch jedenfalls anders heißen als chinesisch; darum weiß ich beides nicht. Hinter diesen Bäumen saß einer, den man nicht sehen sollte und der uns beobachtete.“
„Und du denkst, daß es Dilke war?“
„Ja.“
„Hast du ihn an irgend etwas erkannt?“
„Am Hut. Ich hätte es dir sogleich gesagt; aber es waren zu viel Reiter zwischen mir und dir, und er sollte doch auch nicht bemerken, daß ich ihn gesehen hatte. Darum komme ich jetzt, um es dir zu sagen.“
„Hm! Es ist möglich, daß du dich nicht irrst, Omar. Willst du mir den Gefallen tun, aufzupassen?“
„Natürlich sehr gern, Sihdi! Ich habe sogar schon daran gedacht, wie ich das mache. Ich schleiche mich nämlich wieder hinunter, aber bloß so weit, bis man zum vierten Male von unten herauf herüberkommt. Dort stehen noch mehr Bäume, die ich gar nicht kenne, und ich kann mich da also so gut verstecken, daß kein Mensch mich sieht. Wenn er dann kommt, so schleiche ich mich hinterher und melde es dir.“
Das war eigentlich nicht sehr pfiffig ausgedacht; aber soeben kam Tsi, der, wie es schien, es sehr eilig hatte, und so befahl ich dem Sejjid, daß er sich genau so verhalten solle, wie er es mir soeben vorgeschlagen habe. Als er hinaus war, sprach Tsi:
„Sir, ich habe Euch in aller Schnelligkeit dreierlei zu sagen, wovon das eine immer wichtiger als das andere ist!“
„Nun, was?“ fragte ich, durch diese Einleitung wißbegierig gemacht.
„Ich weiß nicht, ob Ihr wißt, daß die Mutter und der Oheim unserer Yin nach Peking an den Kaiserhof berufen worden sind, um dort über unsere ‚Shen‘ befragt zu werden. Sie sind mit den vortrefflichsten Botschaften ausgestattet worden und haben sich beeilt, noch heut hier einzutreffen, um sie uns an dem Fest- und Ehrentag der ‚Menschlichkeit‘ zu überbringen. Das ist das eine.“
„Wird man die beiden heut noch sehen?“ erkundigte ich mich.
„Ja; doch später; beim letzten Tee, nicht gleich beim Abendmahl. Sodann: Bitte, schaut mich an, ob ich vielleicht erröte!“
„Ich sehe nichts, gratuliere aber doch, und zwar von ganzem, ganzem Herzen!“
„Gratulieren? Wieso?“
„Nun, zur Verlobung!“
Da errötete er nun doch, schlug die Hände zusammen und rief:
„Erraten, wirklich erraten! Wie ist das möglich?“
„Hm! Es wäre sogar eine große Kunst gewesen, es nicht zu erraten! Sie erwarten doch nicht, daß ich viel schöne Worte sage, lieber Freund; Sie wissen, wie gut ich es meine!“
„Still, still! Je stiller andere sind, desto lauter möchte ich jubeln. So ein Glück, so ein Glück! Da ich nun endlich weiß, wer Sie sind, so weiß ich auch, daß Sie mich verstehen. Millionen haben keine Ahnung davon, was es heißt, daß in der Ehe Geist und Seele sich vereinen sollen, um Geist und Seele zu befreien! Es war alles so schön, so rein, so eigentümlich seltsam heut. Es kam im Sonnenglanz wie aus der höchsten Sternenwelt hernieder, jede Silbe, jedes Wort, und auch alles, was geschah! Waller deklamierte Ihr ganzes Gedicht. Er kann sich nicht von ihm trennen. Es ist für ihn die Fahrt, die Leiter, mit deren Hilfe er sich aus dem Irrtum an die Wahrheit rettete. Noch ist er nicht ganz frei, doch hoffe ich, bis zur völligen Gesundung alles fernhalten zu können, was ihn zurückzuwerfen vermöchte. Er sprach so viel von Ihnen, den er nun nicht nur achtet, sondern auch liebt. Dann fragte
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