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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nicht zu ermessen war. Wenn ich so still dasaß und zuhörte, stieg das Bild der ‚Shen‘ immer größer, immer höher, immer edler, schöner und mächtiger in mir auf. Ich kam mir so klein vor, obgleich ich hier so deutlich sah, was selbst der Kleinste zu wirken vermag, wenn er für Großes sich begeistert!
    Zum endlich beginnenden Festmahl waren alle die Personen geladen, welche man im Abendland als die ‚Spitzen der Gesellschaft‘ von Shen-Fu bezeichnen würde. Wir hatten kaum zu essen begonnen, so drängte sich jemand herein, der sich von der draußen stehenden Dienerschaft nicht zurückweisen ließ, sondern sie zur Seite schob. Das war Robert Waller, genannt Dilke! Ihm folgten auf dem Fuß fünf oder sechs Chinesen, welche Blasinstrumente in den Händen hatten. Er befand sich offenbar in großer Erregung. Sein Gesicht war wie verstört; sein Anzug hatte gelitten. Er trat mehrere Schritte vor und fragte, sich an uns alle wendend:
    „Ich suche den Mandarin erster Klasse und Ritter der gelben Flagge Ki Ti Weng. Welcher von Euch ist dieser Mann?“
    „Ich bin es“, antwortete Fu sofort, fügte aber in strengem Ton hinzu: „Wer wagt es, mich hier zu stören, ohne zu mir befohlen worden zu sein?!“
    Dilke hatte chinesisch gefragt und die Antwort also auch in dieser Sprache erhalten. Er behielt sie bei, während er weiterredete. Er sprach nicht fließend, aber deutlich, nicht richtig, aber verständlich, und wendete den nicht sehr großen Wortschatz, den er besaß, nach den Regeln seiner heimatlichen Grammatik an. Also, um ihn ganz begreifen zu können, mußte man der englischen Sprache mächtig sein. Er richtete sich bei den Worten Fus hoch und stolz auf und antwortete:
    „Wagen? Ich bin ein Mann Gottes, ein christlicher Missionar! Für mich kann es also nie ein Wagnis geben! Ich bin gekommen, Euch selig zu machen, indem ich Euch von Eurem Heidentum und seinen Götzentempeln befreie. Ich habe Euch zu belehren, mit Euch zu sprechen, zu Euch zu reden und zu predigen. Aber diese Eure Musikanten lassen mich nie zu Wort kommen. Wohin ich nur gehe, da gehen sie mit, durch die ganze Stadt, durch alle Gassen. Und wo ich nur stehenbleibe, da bleiben sie auch. Und sobald ich den Mund öffne, um zu sprechen, übertäuben sie mich mit dem höllischen Gequieke ihrer teuflischen Instrumente. Meine Nerven sind schon alle vollständig abgerissen; meine Ohren schmerzen, meine Seele zittert, und wenn ich das nur noch eine Stunde lang ertragen soll, so werde ich verrückt. Darum habe ich mich nach dem höchsten Mandarin dieses Landes erkundigt und bin gekommen, ihn über dieses unverschämte Verhalten seiner Bevölkerung zur Rede zu stellen. Ich bin nicht etwa ein hiesiger Mensch, sondern der Untertan einer fremden Macht und der Prediger einer fremden Religion. Als dieses beides habe ich größere und unantastbarere Rechte als jedermann, den ich hier vor mir sehe! Wer einem heidnischen Volk die einzig wahre Religion und die einzig wahre Bildung bringt, der muß befehlen dürfen; das ist es, was ich fordere. Und darum erkläre ich hiermit – – –“
    Er kam nicht weiter. Die Musiker hielten ihre Augen auf John Raffley gerichtet. Dieser hob die Hand zum Zeichen, und sofort gab es einen Lärm, als ob zehn Schweinen die Ohren und fünfzig jungen Hunden die Schwänze abgeschnitten worden seien; so viele schändlich quiekende Stimmen schienen zu hören zu sein! Dilke fuhr mit beiden Händen nach den Ohren und machte eine ganz unbeschreibliche Grimasse. Er wartete aber doch, bis der Skandal vorüber war und fuhr dann fort:
    „Ich erkläre also folgendes: Wenn diese satanische Bande nicht auf der Stelle in Strafe genommen wird, so begebe ich mich sofort und direkt hinauf nach Raffley-Castle und – – –“
    Hier fiel die Musik wieder ein, mit noch größerem Eifer als vorher. Da brüllte er vor Wut und Entsetzen so laut auf, daß dieser Schrei sogar die Instrumente übertönte, ballte die beiden Fäuste, warf uns eine Drohung zu, die wir aber nicht verstanden, drehte sich dann um und sprang zur Tür hinaus.
    Zur Ehre aller Anwesenden muß ich sagen, daß kein einziger unter ihnen war, der da lachte. Der Eindruck, den er da gemacht hatte, war ein ganz andrer als vorhin bei dem vergeblichen Redeversuch auf der Tribüne. Mir kam sein Verhalten nicht mehr lächerlich, sondern beinahe unheimlich vor, besonders wenn ich an die fast vollständige Gleichheit mit dem früheren Auftreten seines Oheims dachte.
    Es wurde bereits

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