31 - Und Friede auf Erden
erhob Dilke seine Stimme wieder. Die priesterlichen Mu-Yüs gaben augenblicklich das Zeichen abermals, und der gräßliche Lärm der Sonas und Kuantsus erscholl in einer zweiten, außerordentlich verstärkten Auflage. So ging der Kampf noch eine Weile fort. Bald war Dilkes Stimme und bald der Spektakel zu hören. Dadurch wurde ein Gespräch für uns zur Unmöglichkeit. Ich ging nun doch zum Fenster, und da John Raffley mir folgte, so kam dann Fu und später selbst auch der Ho-Schang mir nach.
Ganz selbstverständlich strengte sich Dilke vergeblich an. Er war so töricht, den Kampf in die Länge zu ziehen, anstatt ihn gleich bei der ersten oder doch zweiten Niederlage aufzugeben. Das bisher still gebliebene Publikum begann, sich dabei zu amüsieren. Man lachte zunächst hier und dort, dann überall, und endlich gab es ein einziges, großes, allgemeines Gelächter, bei dem der arme, beklagenswerte Mensch nun doch zu der Einsicht kam, daß er verloren habe. Er stieg von der Tribüne herab und machte den Versuch, unter der Menge der vielen Menschen zu verschwinden. Er war übrigens in der chinesischen Sprache gar nicht so übel bewandert. Mary Waller sagte mir später, daß er ein sehr gut begabter Schüler gewesen sei und grad für diese Sprache eine besondere Vorliebe besessen habe. Jedenfalls verstehe und spreche er sie bedeutend besser als ihr Vater.
Da hörte ich den Ho-Schang hinter mir sagen:
„Das ist der richtige Augenblick für mich. Ich eile hinab, um die Verführten auf den rechten Weg zu bringen und die noch Unentschiedenen zu überzeugen!“
Er verließ den Saal. Da bemerkte ich, daß auch John nicht mehr da war. Schon wollte ich Fu fragen; wohin er sei, da kam er wieder. Er lachte, fröhlich vor sich hin.
„Das war jedenfalls ein guter Gedanke, der mir kam, als ich die Pfeifen da unten so schreien, zetern und quieken hörte. Ich bin sofort hinab und habe dafür gesorgt, daß man ihm folgt, unaufhörlich, überallhin, wohin er sich wendet, immerfort, den ganzen Tag, so lange es nur möglich ist! Man hat ihn nicht aus den Augen gelassen. Wenn einer ermüdet, tritt der andere ein; wir haben hier in Shen-Fu ja Musikanten mehr als genug. So oft dieser Dilke den Mund öffnet, um einen Bekehrungsversuch zu unternehmen, hat man ihn sofort zu unterbrechen. Was sagt Ihr dazu, Charley?“
Die Antwort wurde mir erspart. Ich hätte wohl nicht grad das gesagt, was er erwartete; da aber erklang von der Tribüne die Stimme des Ho-Schang, und wir wendeten uns den offenen Fenstern zu, damit keines seiner Worte verlorengehe.
Über die Rede selbst, die er hielt, will ich nichts sagen; aber daß er ein Sprecher war, und zwar was für einer! Das zeigte der Erfolg. Es gab einen allgemeinen, zustimmenden Jubel, der gar nicht enden wollte. Und als er zu uns zurückgekehrt war, erschienen von allen Seiten Boten, Abgesandte und Deputationen bei uns, um Dank und Anerkennung auszusprechen und, was besonders Freude machte, den Beitritt ganzer Ortschaften oder Korporationen zu melden. Diese Besuche und Audienzen nahmen mehrere Stunden in Anspruch, so daß wir viel später zum Essen kamen, als es bestellt worden war. Für die Anmeldung einzelner oder kleinerer Trupps zur ‚Shen‘ war unten im Parterre ein besonderes Büro angelegt worden. Da wurde ein jeder eingeschrieben und erhielt dann als Erkennungszeichen eine Arekanuß mit dem betreffenden, eingegrabenen Wort. Schon am Nachmittag gab es in ganz Shen-Fu keinen Menschen mehr, der nicht durch eine irgendwie geformte Betelnuß bewies, daß er ein Kind der ‚Menschlichkeit‘, ein Glied der großen, edlen ‚Shen‘ geworden sei.
Der ‚Shen-Ta-Shi‘, der große Tag der ‚Shen‘, fiel auf heut; damit ist aber nicht gesagt, daß dieses Fest mit heut zu Ende gehen sollte. O nein! Heut war der Anbeginn; es dauerte mehrere Tage, und das Ende konnte erst dann ersehen werden, wenn die vielen auf den Plan gesetzten wichtigen Berichte und Verhandlungen vorüber waren. Die Auslandsreise unseres Fu hatte große, wenn auch noch nicht besprechbare Erfolge gehabt. Man war aufmerksam geworden. Man hatte sich vorgenommen, zu beachten, zu studieren. Da galt es, deutlicher zu werden, bestimmter aufzutreten, das bisherige Feld zu erweitern, den Ahnungslosen die Augen zu öffnen, jahrtausendealte Vorurteile zu beleuchten und die guten Regungen der Gegenwart mit allem Nachdruck zu unterstützen. Kurz, es lag eine Arbeit vor, die hohe Kraft erforderte, aber auch einen Segen verhieß, der gar
Weitere Kostenlose Bücher