31 - Und Friede auf Erden
Schritte nach links von mir ging die Sandhöhe, auf welcher ich mich befand, in das platte Dach eines zum Hotel gehörigen Nebengebäudes über. Von diesem aus konnte ich Omar aus dem tief eingeschnittenen Wege herauskommen sehen. Ich ging hin und schaute hinab. Auf dem Vorplatz saßen und standen viele Herren und Damen, welche diesen Aufenthalt den schwülen, dumpfen Zimmern vorgezogen hatten. Omar hemmte seine Schritte nicht, sondern rannte zwischen ihnen hindurch, ohne daran zu denken, daß ihm seine direkte Abstammung vom Propheten bei dieser Art von Schritten höchstwahrscheinlich nicht angesehen werden könne. Ich ging nach meinem Zimmer und hatte es kaum erreicht, so hörte ich ihn auch schon klopfen. Er wartete meine Antwort gar nicht ab, sondern trat ein, ließ die Tür ganz selbstverständlich offenstehen und sagte, indem er mit dem Atem rang:
„Sihdi, es wird über sie Gericht gehalten. Du mußt sofort kommen und ihren Fakih (Advokat, Verteidiger) machen!“
„Von wem redest du?“ fragte ich.
„Von den Chinesen. Sie sind gute Menschen und wohnen in demselben Hotel mit dir. Ich hoffe, daß dies genug Gründe für dich sind, ihnen beizustehen!“
„Ich bin kein Fakih. Wer klagt sie an? Was haben sie denn getan?“
„Sie haben den Amerikaner in Schutz genommen, dem es wahrscheinlich an das Leben gehen wird. Das geschieht ihm recht! Du hast es ja gesehen, wie er mein Gebet unterbrochen hat!“
„Weshalb soll es ihm an das Leben gehen?“
„Das erzähle ich dir unterwegs; komm nur schnell, sonst wird es vielleicht zu spät, dich der Chinesen anzunehmen!“
Er faßte mich am Arm, um mich mit sich fortzuziehen. Ich wehrte ihn ab und sagte:
„Beherrsche dich! Man kann durch zögerndes Überlegen weiter kommen als durch übermäßige Eile. Erzähle, wenn auch kurz, aber alles, was geschehen ist.“
Er versuchte, seinen fliegenden Atem zu beruhigen, und folgte meiner Aufforderung.
„Als ich die Pferde in den Stall geschafft und ihnen Futter gegeben hatte, ging ich hinauf nach den Pyramiden. Ich wollte die fremden Mekkapilger sehen, vor denen ich mich nicht zu scheuen brauche, weil ich weder Christ noch Jude, sondern nicht nur Moslem, sondern sogar Sejjid Omar bin. Ihre Gewänder sind zwar während der weiten Reisen zerrissen und sehr, sehr schmutzig geworden, aber das hindert nicht, daß diese Beduinen vom Bahr bela Ma sehr fromme Männer sind, welche Mekka gesehen haben und viel von ihm erzählen können. Als ich kam, waren sie dabei, die große Pyramide zu besteigen. Da aber auf der Höhe derselben nur gegen dreißig Personen stehen können, mußte dies in Abteilungen geschehen. Es dauerte sehr lange, ehe die erste wieder herunterkam. Mit dieser ging ich nach der Sphinx hinunter, denn sie sollte auch bestiegen werden. Du weißt, daß man da am Granittempel vorüberkommt. Indem wir dies taten, hörte ich Stimmen in dem Treppengang desselben, achtete ihrer aber nicht. Hätte ich gewußt, wer es war, so wäre ich hineingegangen, um sie zu warnen.“
„Wer war es denn?“ unterbrach ich ihn.
„Die beiden Chinesen, der Amerikaner und seine Tochter. Wir stiegen alle auf den Rücken des Sphinx, von wo aus einige der jungen Leute von el Kafr gegen ein Bakschisch auch noch auf den Kopf zu klettern pflegen, was so gefährlich ist, daß ich nicht versuchen möchte, es nachzumachen. Einer von ihnen führte dieses Kunststück aus, und der Scheik der fremden Pilger behauptete, es ihm nachmachen zu können. Man glaubte es ihm nicht; es wurde hin und her gestritten und ihm schließlich eine Wette angeboten, auf welche er einging. Er zog seinen Mantel aus und nahm auch sein Hamaïl vom Hals, weil es während des Kletterns leicht beschädigt werden konnte. Die Schnur, an welcher es hing, war zu eng, sie über den Kopf zu bringen. Er zog zu sehr; sie zerriß, und da er sie nicht festhielt, flog das Hamaïl seitwärts auf den Boden nieder, wo sich der Fels nach unten rundet. Es glitt weiter und fiel in die Tiefe hinab.“
„Das hat nichts zu sagen. Die Hamaïls werden in Futteralen getragen, und unten gibt es lockeren Sand; das Buch wird also nicht beschädigt worden sein.“
„Das ist richtig; aber höre, was gleich weiter geschah! Der Scheik kümmerte sich jetzt nicht um sein Hamaïl, welches er sich dann ja holen konnte; er dachte nur an seine Wette. Es war ausgemacht worden, daß noch einmal jemand von el Kafr hinaufzuklettern habe, damit der Fremde sich die Stellen merken könne, wo die Finger und
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