31 - Und Friede auf Erden
auch dieselbe Einsicht für die sprechenden Bewegungen seiner Arme und Finger entgegen. Er sagte mir durch diese Zeichen, daß das Hotel ringsum eingeschlossen sei, weil ich von den nach meinem Blute dürstenden Pilgern abgefangen werden solle.“
„Sie haben ihn richtig verstanden“, bemerkte ich, als er eine Pause machte. „Diese Leute stehen überall, woher Sie kommen könnten, und werden wohl die ganze Nacht hindurch stehen bleiben, wenn sie nicht durch einen Zufall erfahren, daß Sie entschlüpft sind.“
„Was dieses Entschlüpfen betrifft, so war es gar nicht leicht“, fuhr er fort. „Ich weiß nicht, was für eine Weisung Sie Omar gegeben hatten, aber er schien mich nicht nur überhaupt, sondern auch ganz unbemerkt durch die Reihen dieser Posten bringen zu wollen. Einmal, als wir wieder hinter einer Erhöhung hervorlugten und mehrere Wachen stehen sahen, schien ihm ein guter Gedanke zu kommen. Er sprach lange und eindringlich auf mich ein und nahm dabei alle Fremdwörter zu Rate, deren er in seinem Gedächtnis habhaft werden konnte. Als ich trotzdem so unwissend blieb, wie ich war, stieg er ab und forderte mich auf, dasselbe zu tun. Dann deutete er nach der Gegend, in welcher das Hotel lag, und machte eine Zeichnung in den Sand. Auf einen Punkt dieser Zeichnung deutend, wiederholte er mehrere Male die beiden Worte ‚Bab‘ und ‚Chambre‘. Daß Chambre das französische Wort für ‚Zimmer‘ ist, weiß jedermann, und aus dem Plan von Kairo ist mir zufällig bekannt, daß Bab soviel wie Tür oder Tor bedeutet. Der Sejjid sprach also von einer Zimmertür, aber von welcher denn? Wie es ihm gelungen ist, mich endlich klug zu machen, das weiß ich nicht, aber es kam doch der Augenblick, an welchem ich ihn mit Hilfe seiner Zeichnung begriff: Ich hatte den Haupteingang zu vermeiden und mich oben nach der von der Cheopspyramide abfallenden Sanddüne zu wenden, auf welcher das erste Stockwerk des Hotels auf dieser Seite ein Parterre bildet. Dort gibt es eine offenstehende Tür, nach welcher ich zu gehen hatte. Als ich ihm unter fleißiger Anwendung von ‚Bab‘ und ‚Chambre‘ klargemacht hatte, daß er verstanden worden sei, strahlte sein Gesicht vor Freude. Er zog seinen Mantel aus, unter welchem er ein langes, hellbraunes, hemdartiges Gewand trägt, und gab ihn mir um. Dann ballte er meinen neuen Hut zusammen, schob ihn in seine weite Hosentasche und setzte mir dafür seinen Tarbusch auf, an dessen Stelle er sich mein Taschentuch um den Kopf wickelte. Dann stieg er auf sein Pferd, nahm das meinige am Zügel und ritt davon, absichtlich so, daß ihn die Posten bald bemerkten. Sie rannten auf ihn zu, wodurch sie mir den Weg freigaben. Er ließ sie nicht an sich herankommen. Sie schrien ihm zu und verdoppelten ihre Eile, mit ihm zu reden. Dadurch lockte er sie immer weiter fort, und ich ging langsamen Schrittes nach der mir vorgeschriebenen Gegend. Sie sahen mich von weitem, achteten aber nicht auf mich, weil sie mich infolge des Tarbusch und des Mantels für einen Araber hielten. Ich erreichte die Düne, ging ihr entlang und kam an die bewußte Tür, welche, was ich freilich nicht geahnt hatte, die Tür der Wohnung meines Retters ist.“
Nun hielt der Erzähler inne. Er hatte in einem heiteren Ernst gesprochen, der ihm weit besser zu Gesicht stand als der selbstbewußte, schnarrende Ton, der ihm sonst zu eigen war. Er kam mir jetzt anders vor, gar nicht so ungesund fromm und salbungsvoll, wie ich ihn bisher gesehen hatte. Welchen viel, viel besseren Eindruck macht doch der Mensch, wenn in ihm die gute Natur über das künstlich Gemachte siegt!
„Und nun aber der Dank!“ erinnerte seine Tochter. „Oder war es wirklich dein Ernst, nicht von ihm sprechen zu wollen?“
Ich wehrte mit der schnellen Bitte ab, dies Wort weder jetzt noch später zu erwähnen. Da klopfte es an, und als ich ein lautes „Herein!“ gerufen hatte, kam der Sejjid herein, welcher meldete, daß er glücklich angekommen sei und die Pferde nach dem Stall geschafft habe. Ich wußte, wie man Orientalen seines Standes und seiner Art zu nehmen hat, reichte ihm meine Hand, was an und für sich schon eine Auszeichnung war, und sagte:
„Du hast deine Sache gut gemacht, Omar. Ich engagiere dich; du wirst mein Diener sein und mich begleiten dürfen. Stände Mohammed, dein Prophet, an meiner Stelle, so würde er dir ganz dasselbe sagen, was ich dir schon gesagt habe: Du sollst vor allen Dingen ein guter Mensch sein, und du bist es heut
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