31 - Und Friede auf Erden
schön sauber vom Brot zu fressen, als habe ein Kind sie abgeleckt.
Am Nachmittag ging ein echt ceylonesischer Regen nieder: jetzt blauer, vollständig wolkenloser Himmel; plötzlich verdüstert er sich, doch ohne daß man massige Wolkenbildungen bemerkt. Das Wasser stürzt förmlich wie ein ausgeschütteter See hernieder. Dann wieder ebenso plötzlich heiterer Himmel. Diese Regenszene spielt sich oft innerhalb einer halben Stunde ab.
Als es dunkel wurde, was hier regelmäßig kurz nach sechs Uhr geschieht, kam Omar. Ich ließ ihn einige kleine Einkäufe für mich machen, dann konnte er wieder gehen. Er hatte auch schon die Tür in der Hand, als er wieder umkehrte, indem er sagte:
„Bald hätte ich vergessen, Sihdi, dich zu fragen, ob du heut vielleicht ein kleines Buch verloren hast.“
„Wo?“
„Da, wo wir standen, als die Soldaten kamen.“
„Ich habe kein Buch bei mir gehabt.“
„So muß ich es dem Händler wiedergeben.“
„Welchem Händler? Du hast es mit?“
„Ja. Als du mit deiner Rikscha allein fortgefahren warst und ich warten mußte, sah ich den Baja (Händler) aus seinem Laden kommen und ein kleines Buch aufheben, welches im Schmutz der Straße lag, ganz nahe an der Stelle, wo die zerbrochene Rikscha umgestürzt war. Der Händler hatte dich und mich stehen sehen und fragte mich, ob das Buch vielleicht dir oder mir gehöre, und ich sagte nein, weil ich ja alles kenne, was du hast. Er mußte es also behalten. Als ich nun vorhin zu dir ging, mußte ich an seiner Tür vorüber. Er sah mich kommen und fragte mich, ob ich lesen könne, was in dem Buch stehe. Ich sagte wieder nein, weil es nicht arabisch war. Aber ich kam auf den Gedanken, es dir mitzunehmen, denn es war doch nicht ganz und gar unmöglich, daß es dein Eigentum sei. Oder wenn nicht, so steht vielleicht ein Name darin, der uns sagt, wem man es zu geben hat. Der Baja möchte wahrscheinlich gern einen Finderlohn haben. Darf ich es dir zeigen?“
„Natürlich!“
Es war ein in blaue Seide gebundenes, sichtlich vielgebrauchtes Damennotizbuch, auf dessen Vorderseite ich die beiden goldenen Buchstaben M.W. las. Das Gold war freilich fast verblichen. Beim oberflächlichen Durchblättern sah ich, daß es teils englisch und teils deutsch geschrieben war und Notizen über weibliche und häusliche Angelegenheiten enthielt, denen ich das, was ich wissen wollte, nicht entnehmen konnte. Am hintern Deckel des Einbandes, war wie in solchen kleinen Büchern fast immer, ein Täschchen angebracht. Es enthielt eine Photographie in Visitenkartenformat. Als ich sie herauszog, kam mir zuerst die hintere Seite vor die Augen. Da sah ich in weicher, schöner, regelmäßiger Frauenhandschrift und deutscher Sprache die Zeilen geschrieben:
„Zwei Geister streiten sich um Dich, ein guter und ein böser, der eine nur angeblich, der andre wirklich fromm. Heut bist Du wie der eine und morgen wie der andere. Gott gebe Dir und mir ein frohes Resultat!“
Die andere Seite enthielt das Bild der Schreiberin. Eine schöne, vielleicht vierzig Jahre zählende Frau, die mir bekannt vorkam, um so bekannter, je länger ich die Photographie betrachtete. Wo hatte ich diese warmen Seelenaugen geschaut, deren Blick unablässig um irgend etwas zu bitten schien? Vielleicht bestand diese Bitte in den letzten der umstehenden Worte: „Gott gebe Dir und mir ein frohes Resultat!“
Als ich das Bild wieder in das Täschchen zurücksteckte, sah ich in der letzteren noch ein zusammengefaltetes Papier, augenscheinlich oft gebraucht. Ich nahm es heraus und faltete es auseinander. Man denke sich die Größe meines Erstaunens, als mein Blick auf die vier Zeilen fiel, welche der Wind der Tochter des Missionars in Kairo zugeweht hatte, nicht etwa in Abschrift, sondern das Original, von meiner Hand geschrieben!
Nun wußte ich auf einmal, daß die beiden Buchstaben den Namen Mary Waller zu bedeuten hatten. War sie etwa mit ihrem Vater hier in Colombo? Die Möglichkeit lag vor, weil sie die Absicht gehabt hatten, sich längere Zeit in Indien zu verweilen. Mochte das nun sein, wie es wollte, das Notizbuch war Marys Eigentum, und sie mußte es wiederbekommen. Hier im Hotel wohnten Wallers nicht; ich hatte ja das Fremdenbuch gelesen. Sie waren nun entweder im Galle Face-Hotel oder ganz draußen im Hotel Lavinia zu suchen, beide Häuser ersten Ranges: in einem anderen wohnten sie gewiß nicht. Ich beschloß also, das Buch zu behalten und morgen Erkundigung einzuziehen. Darum gab ich Omar
Weitere Kostenlose Bücher