31 - Und Friede auf Erden
schließlich der ganze Orient unter den Hufen des Okzidents liegt? Fast scheint es so. Überall, wohin ich hier gekommen bin, habe ich zwei dunkle, unheilvolle Mächte an der Arbeit gesehen, diese nichts weniger als christliche Aufgabe zu vollenden, nämlich die religiöse Überhebung und den nationalen Hochmut. Wer da behauptet, Gott sei so haarspaltend und pedantisch, daß er nur die weiße Hautfarbe liebe und auf einer ganz bestimmten Art und Weise des Händefaltens bestehe, der lästert ihn, denn er setzt ihn tief unter den gewöhnlichen Durchschnittsmenschen herab. Solche Sünder gegen die Völker- und Menschenrechte gehören eigentlich unter Gewahrsam, weil sie gemeingefährlich sind, und darum freut es mich, daß es mir gelungen ist, die Namen der sogenannten zivilisierten Herren und Damen zu erfahren, welche sich ein Vergnügen daraus machten, der anderen Rasse zu zeigen, was eigentlich ‚Rasse‘ ist. Ich habe ihre Bestrafung gefordert, und der Gouverneur versprach sie mir. Hoffentlich läßt er sich durch meine Abreise nicht verleiten, die Untersuchung einschlafen zu lassen! – Setzen wir uns! Wir haben noch Zeit bis zum Diner, und ich liebe es nicht, der erste an der Tafel zu sein.“
Die Stühle draußen knackten; es trat eine Redepause ein. Also meine Vermutung bewahrheitete sich; es war der graubärtige Herr, welcher, wie seine Aufforderung zum Setzen erraten ließ, der jetzige Besitzer des Nebenzimmers und also mein Nachbar war.
„Diese lästigen Abschiedsbesuche“, seufzte er. „Immer und immer in full dress, sogar beim Essen! Ungesund und zeitraubend!“
Diese Worte waren für mich scheinbar nebensächlich, aber auch nur scheinbar. Da der heutige Abend sein letzter hier auf Ceylon war, so reiste er also morgen ab, und ich folgerte: Er war den Reitern nachgeeilt und dann, während ich mich noch im Pettah befand, in das Hotel gegangen, um für den Gang zum Gouverneur den Gesellschaftsanzug anzulegen. Später hatte er Abschiedsvisiten gemacht und saß nun mit irgendeinem Bekannten drüben in seinem Zimmer, um die Zeit bis zum Abendessen zu verplaudern.
Das Gespräch, welches ich nun zu hören bekam, handelte von den Erlebnissen und Erfahrungen, welche er in Indien gemacht hatte. Er schien Gelehrter, speziellen Berufes, wahrscheinlich Arzt, zu sein und war von Amerika nach dem Orient gekommen, um die Krankheiten, besonders die Pest zu studieren. Sein Aufenthalt im Morgenland hatte fast zwei Jahre in Anspruch genommen, und das, was ich hörte, überzeugte mich, daß seine Studien sich nicht nur auf die materiellen, sondern auf die geistigen Verhältnisse der betreffenden Völker erstreckt hatten. Er war ein sehr scharfsinniger, kluger Mann und dabei ein vorurteilsloser, edel denkender Menschenfreund. Er sprach zuweilen Worte, für welche ich ihm hätte die Hand herzlich drücken mögen.
„Es ist für den Westen gefährlich, sich den Osten als abgetan zu denken und seine Völker als untergehende Nationen zu bezeichnen“, sagte er. „Die Bibel erzählt, daß der Garten Eden im Morgenland gelegen habe. Die Flüsse dieses Paradieses sind nicht nur für die sogenannten Auserwählten Gottes, sondern für alle Welt geflossen; aber der Mensch, welcher in das Eden gesetzt wurde, es zu pflegen, zu bebauen und seinen Nachkommen zu erhalten, vergaß nur allzubald, daß dies eine Aufgabe sei, die ihn zwar zum Pfleger, aber nicht zum Herrn des Paradieses machen sollte. ‚Er wollte sein wie Gott!‘ sagte die Heilige Schrift; das heißt, er wollte bestimmen, ohne nach den göttlichen Gesetzen zu fragen. Der Herr warnte ihn, warnte ihn in seiner Güte nur durch das kleine Verbot des Apfels, welchen stehenzulassen bei der unendlichen Früchtefülle des Gartens so leicht war und gar keine Selbstüberwindung kostete. Aber der allbegehrliche Mensch wollte nun gerade diesen, und – – – er hat ihn genommen. Doch diese Habsucht, welche in ihrer Grenzenlosigkeit trotz ihres unendlichen Reichtums nicht auf einen einzigen, kleinen Apfel verzichten, sondern den rechtmäßigen Herrn um alles bringen wollte, hat sich durch ihre ungehorsame Begehrlichkeit selbst um alles gebracht; sie bezahlte den einen Apfel mit dem ganzen Paradies. Das ist die Geschichte des Sündenfalles in Beziehung auf das ganze Menschengeschlecht, auf die Nationen und auf jeden einzelnen Menschen.“
Er hielt inne; der andere sagte nichts. Es schien mir, als habe der Schluß der Rede nicht das gebracht, was der Anfang versprochen hatte;
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