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31 - Und Friede auf Erden

31 - Und Friede auf Erden

Titel: 31 - Und Friede auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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war geradezu herrlich; die Luft stand fest; die See ging in langgestreckten Wogen, von denen die eine genau der andern glich. Unsere ‚Yin‘ lag ein wenig auf die Seite geneigt und ging so leicht, so frei, so scharf wie der zur Wirklichkeit gewordene Wunsch ihres Besitzers über die Straße.
    In jenen Gegenden, so nahe dem Äquator, wird es regelmäßig kurz nach sechs Uhr Nacht. Als sich nach zweistündiger Fahrt die Sonne zum Untergang neigte, stieg Mary Waller die Stufen empor, welche auf die Decke ihres Salons führten. Ich befand mich in ihrer Nähe, und sie winkte mir, ihr zu folgen. Da oben, beim Marmorkopf ‚Yins‘ sitzend, konnte man den Übergang des Tages in die Nacht am besten beobachten.
    Wir sprachen zunächst über ihre Freude, Tsi so ungeahnt hier wiederzusehen. Sie war gerührt von seiner, kein Opfer scheuenden Bereitwilligkeit, sofort mit nach Uleh-leh zu gehen, vermied es aber, viele Worte darüber zu machen. Dann beschrieb sie mir ihre jetzige Wohnung. Sie tat dies mit wahrem Entzücken und erklärte mir, so etwas noch nie gesehen zu haben. Die Einrichtung sei echt chinesisch, reich, aber schön, voller köstlicher Gedanken, ein Gedicht, unbedingt von einem chinesischen Weib gedichtet, so klar im Ausdruck und im Reim so rein, keine Silbe zuviel und aber auch keine zuwenig, jede Falte ein wohlklingendes Wort, jeder Sessel ein traulicher Vers, jeder einzelne Gegenstand ein Zeichen höchsten Geschmacks und in seinem Verhältnis zum Ganzen ein Beweis zwar angeborener, aber durch die Ausbildung auch vollendeter Künstlerschaft.
    „Ich möchte die Frau kennen, welche diese wunderbare Wohnung, die ihresgleichen nicht findet, gedichtet hat!“ wünschte Mary am Schluß ihrer Beschreibung. „Sie muß ein schönes, wonniges harmonisch empfindendes und aber doch scharf und ernst denkendes Wesen sein!“
    „Tapezierer!“ warf ich hin. „Diese Arbeiten machen in China die Männer, welche sogar waschen und plätten.“
    „Tapezierer?“ wiederholte sie mein Wort. „Ich begreife allerdings, daß Sie das sagen können; aber kommen Sie, und sehen Sie; dann werden Sie anders sprechen. Ich halte es zwar nicht für unmöglich, daß es ein Tapezierer so weit bringt, in Möbelstoff, in Samt oder Seide dichten zu können; hier dieses Gedicht aber ist so deutlich fühlbar das Werk einer echten, reinen, edlen Weiblichkeit, daß es fast weh tut, nur daran zu denken, ob von einem Verfasser anstatt einer Verfasserin, also von einem männlichen Wesen die Rede sein könne.“
    Jetzt berührte die Sonne das Meer, und da flutete in einem einzigen Augenblick eine solche Fülle goldenen Lichtes auf den Wassern zu uns her, als ob der Ball dort im Westen sich aus Liebe aufzulösen beginne.
    „Erinnern Sie sich noch des Sonnenunterganges auf dem Dschebel Mokattam damals?“ fragte Mary.
    „Den Sie gar nicht gesehen haben“, antwortete ich. „Sie ritten zu zeitig fort. Das war die Folge des bösen Wüstenwindes.“
    „O nein, sondern die Folge von etwas ganz anderem. Ich fühlte ihn ja nicht.“
    Sie blickte in die golddiamantene Glut, welche den ganzen Westen bis zu uns herüberflammte. Dann sah sie mir mit ihren lieben, ehrlichen Augen so offen und herzlich in das Gesicht und fügte hinzu:
    „Wollen Sie mir jetzt eine Bitte erfüllen?“
    „So gern!“
    „Aber gleich? Ganz gewiß? Ohne sich zu weigern? Ohne zu fragen und zu zögern?“
    „Ja.“
    „Nehmen Sie sich eine Zigarre aus dem Etui, welches ich da in Ihrer Tasche sehe. Bitte, brennen Sie an!“
    Es war ihr ein Herzensbedürfnis, in Erinnerung an das damalige Verhalten ihres Vaters diese Bitte auszusprechen. Dennoch entgegnete ich:
    „Da steht die See in Sonnenglut. Denken wir nicht an das Glühen eines Tabakblattes!“
    „Und doch; grad jetzt! Ich bitte Sie; Sie haben es mir versprochen. Es liegt in meinem Wunsch kein Gegensatz zu dieser Schönheitsfülle, die wir sehen!“
    Ja, wahrlich nicht; sie hatte recht! Wie leicht und doch wie schwer ist ein Frauenherz zu verstehen! Was uns Männern als Widerspruch erscheint, kann schönste Harmonie bedeuten, und was wir für oberflächlich halten, stammt vielleicht aus der tiefsten, verborgensten Seelenfalte. Das Weib weiß es selbst wohl nicht, wie also kann der Mann es wissen!
    „Jetzt brennt es“, lächelte sie so liebenswürdig zufrieden, als ich ihrem Wunsch nachgekommen war. „Nun erzählen Sie mir, wie Sie mit ihrem braven Sejjid Omar nach hier gekommen sind! Ich schau dabei gegen West, wo Ägypten

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