310 - Auf gewagtem Kurs
gewaltig.
»Ich bin hier, hört ihr?!«, rief er hinauf. »Zieht mich hoch!«
Die Worte erstickten in der Gischt, die Matt bei jeder Welle traf. Lange würde er sich nicht festkrallen können. Er biss die Zähne zusammen und verwünschte Aruulas Stolz. So selbstmörderisch hatte er sich die Audienz bei der neuen Königin weiß Gott nicht vorgestellt.
Er blickte an den Taljen vorbei nach oben. Wäre er ein Cyborg wie Aiko Tsuyoshi, hätte er sich vermutlich mit Leichtigkeit hinaufhangeln können. Doch seine menschlichen Muskeln verkrampften schon jetzt. Keine Chance, weiter nach oben zu greifen.
Wenn ihm niemand an Bord zu Hilfe kam, würde er an der Bordwand nach unten rutschen und im besten Fall vom Schiff fortgetrieben werden. Im schlimmsten Fall zog ihn der Sog unter den Rumpf.
»Aruula!«, brüllte er. »Nimm endlich Vernunft an!«
***
Grao’sil’aana blieb unbewegt, als die Karavelle direkt auf Mefju’drex zufuhr. Er hörte die Bitten der Kriegerinnen und ganz schwach die von unten kommenden Rufe des ehemaligen Primärfeindes. Nein, er wünschte Drax nicht den Tod. Vielmehr hatte er Sorge. Angst vor dem Moment, in dem er und Drax sich gegenüberstanden und der andere erkannte, wer er wirklich war. Die Kriegerinnen ahnten nichts von einem Gestaltwandler, der schon seit über einem Jahr unter ihnen lebte. Auch wenn sie die Veränderungen bemerkt hatten, würden sie doch nie den Schluss ziehen, dass Aruula in Wahrheit ein Daa’mure wäre.
Drax dagegen wusste um sein Geheimnis und seine Möglichkeiten. Er würde eins und eins zusammenzählen, wenn er nur einen winzigen Fehler machte.
»Aruula! So nimm doch Vernunft an!« Arjeelas Augen flehten um Gnade für Matthew Drax. »Du tötest ihn noch!«
»Er hält sich an der Takelage fest!«, rief Tumaara ihnen zu. Die Kriegerin stand mittschiffs an der Reling und lehnte sich so weit hinunter, dass sie zu stürzen drohte.
»Zäher Hund«, knurrte Dykestraa neben ihr. Die erste Kriegerin grinste. »Aber Aruula liegt ganz richtig: Männer brauchen hin und wieder ein wenig Demütigung. Ich finde, wir sollten ihn dort hängen lassen. Sein Flugding wird ihn schon aus den Wellen fischen, wenn er ins Wasser plumpst.«
Arjeela hieb mit der Faust auf die Reling und drehte sich zu der kleineren Frau mit dem grünen Kopftuch um. »So einen Unsinn kannst auch nur du reden, Dykestraa! Aruula, hör nicht auf sie! Sie hasst alle Männer!«
Der Gefühlsüberschwang der Situation verwirrte Grao. Was sollte er tun? Noch spielte er die Erstarrte und Unnahbare. Er räusperte sich schwach. »Er braucht eine Lektion. Dykestraa hat recht: Wenn er den Halt verliert, wird -«
»Dann wird er unter das Schiff geraten und sterben!«, unterbrach Juneeda sie. »Wir müssen ihn heraufziehen!« Sie ergriff Aruulas Hand. »Ist dein Herz denn wirklich zu Stein geworden? Rede mit ihm. Bitte. Du siehst doch, was er auf sich nimmt, nur um dich zu treffen.«
Dykestraa neben ihnen verdrehte die Augen. Sie beugte sich über die Reling. »Der lässt eh gleich los.«
»Arjeela, hol ein Seil!«, forderte Tumaara.
»Niemand holt ein Seil!«, fuhr Grao dazwischen.
Juneeda stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wenn du jetzt nicht einlenkst, Aruula, will ich nicht mehr oberste Priesterin der Königin sein!«
Grao zögerte. Er hatte die alte Vettel noch nie so wütend erlebt. Zum ersten Mal spürte er so etwas wie Respekt vor ihr.
In dem Moment sah er, dass Arjeela bereits mit einem Seil, in das sie eine Schlinge geflochten hatte, an der Reling stand und es hinab ließ. Neuer Zorn wallte in ihm auf. »Was tust du da? Warum handelst du gegen den Willen deiner Königin?«
Arjeela antwortete nicht. Sie presste die Lippen trotzig aufeinander und dirigierte das Seil. Tumaara kam ihr zu Hilfe. Gemeinsam holten sie das Seil ein.
Mit kalter Stimme meldete sich nun auch wieder Juneeda zu Wort. »Wir haben Gäste immer gut empfangen. Besonders, wenn sie Verbündete waren. Das soll auch an diesem Tag so sein, Aruula.«
»Also gut.« Grao sah ein, dass er die Kriegerinnen endgültig gegen sich aufbringen würde, wenn er Mefju’drex wieder von Bord werfen ließ. »Dann soll es eben so sein. Ich werde mit ihm reden.«
***
Am Ende seiner Kräfte verschwamm die Welt um Matt. Wasser und Bootswand wurden zu einem Gemisch aus Graublau, Braun und Kalkgrün. Die Erschöpfung drohte ihm die Sinne zu rauben... als er plötzlich das rettende Seil sah, das zu ihm herabgelassen wurde. Eine der Kriegerinnen beugte
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