310 - Auf gewagtem Kurs
Diener Orguudoos war. Schließlich kannte er die Schwachstelle des Dämons. Einmal schon hatte er ihn überwältigt. Es würde wieder gelingen.
Er starrte den Söldner so intensiv an, dass der Größere sich unter dem Blick duckte. »Du kennst den Plan, Kerl. Weck deine Männer. Die Vorbereitungen müssen sofort getroffen werden. Die Kriegerinnen werden in unsere Falle gehen, und die Hälfte der Überlebenden dürft ihr behalten.« Er grinste hässlich. »Wenn ihr sie zähmen könnt, versteht sich.«
Der hünenhafte Barbar schlug sich auf die Brust. »Ich bin Utotz. Ich zähme sie alle.«
»Dein Wort in den Ohren des Weltrats.« Prankoz verzog sein missgestaltetes Gesicht zu einer noch hässlicheren Fratze. Seine Hand legte sich auf den Schwertknauf an seiner Seite. »Und nun lauf, du Taratzenbrut. Beeil dich. Und macht euch auf das Schlimmste gefasst. Orguudoos Diener und seine Kampfweiber kommen!«
***
Lautlos wie ein Schatten ging Evaluuna an den Zelten entlang. Sie betrachtete die beiden Katapulte aus Holz, die Aruula ihre Schwestern hatte bauen lassen. Kaltes Sternenlicht fiel auf die Waffen. Die Kriegerin fragte sich verständnislos, warum Aruula sie diese Waffen bauen ließ. Jede einzelne erschien ihr unsinnig. Gelernt haben musste sie es von Maddrax, ihrem Geliebten. Aber warum hatte sie dieses Wissen angewendet?
Von Rache war geredet worden. Von den Gräueltaten, die die Lokiraa-Krieger verübten. Sie selbst war dort gewesen, in der Ringfeste, als Bahafaa und die anderen qualvoll starben, hingemetzelt von einer Bestie. Auch ihr hatten die Nordmänner übel mitgespielt. [6] An einen Käfig gekettet, war sie nackt ausgepeitscht worden. Nur weil sie es gewagt hatte, Zlatkuk, diesem Stück Dreck, in die Eier zu treten, als er sie wie ein hirnloser Wakudastier besteigen wollte.
Evaluuna horchte in sich hinein. Ihre Seele lag in Trümmern. Und dennoch: Was sollten die Waffen? Die Speere und Schilde? Was wurde damit mehr gewonnen als neues Leid? Ihr eigenes wurde durch einen Krieg nicht gelindert, selbst wenn sie die Ringfeste bis auf die Grundmauern schliffen und Zlatkuk an der höchsten Turmzinne aufhängten. Die Vernichtung der Nordmänner würde ihr auch nicht die Stimme wiedergeben, die sie seit den Misshandlungen verloren hatte.
Sie erreichte den Rand des Lagers und starrte in die Nacht hinaus. Irgendwo dort hinten, bei einer Geisterstadt aus Ruinen, musste die Ringfeste nahe dem Hafen liegen. Der Ort, den sie nie wiederzusehen hoffte.
Da sie seit der Entführung durch die Lokiraa-Krieger »nicht mehr ganz bei sich war«, wie die anderen es nannten, würde sie nicht in diesen unsinnigen Kampf ziehen müssen, den Aruula angeordnet hatte, sondern das Lager bewachen. Schwerter sollten andere schwingen.
Überhaupt fühlte sie sich keiner ihrer Schwestern mehr verbunden. Sie hätte gern Hermon wiedergesehen, den dicken Händler, der mehr war als das. In der Ringfeste hatte er sein wahres Wesen offenbart – und sie gerettet. Doch von Hermon hieß es, er sei ins Wasser gegangen.
Sie stieß ein stilles, freudloses Lachen aus. Ins Wasser gegangen. Dieser außerirdische Dämon, der Bahafaa geliebt haben musste? Nein. Er hatte das Weite gesucht, weil sie sein Geheimnis kannte, aber tot war er nicht.
Durch ihr Wissen hatte sie den Einzigen vertrieben, der ihr noch etwas bedeutete. Das schmerzte. Evaluuna legte die Hand auf ihren Fellmantel über der Brust. Sie würde ihn nicht verraten. Niemals. Er hatte ihr Leben gerettet und auch alles versucht, das ihrer Schwestern zu schützen. Wo auch immer er hinging, sie schloss ihn in ihre Gebete ein und hoffte, dass Wudan ihn beschützte.
Ein Rascheln in einem nahen Grashaufen ließ sie herumfahren. An manchen Stellen wuchs das Schilf höher als ein Mann. Sie versuchte hineinzuspähen, doch die Nacht tauchte die Gräser in Dunkelheit. Angespannt ging sie näher heran, die Hand auf dem Schwertknauf. Es raschelte erneut.
Etwas blitzte auf. Gelbe Augen. Lupaaugen!
Ihre andere Hand wanderte zum Signalhorn an ihrer Seite. Doch eine Ahnung, die sie selbst nicht verstand, hielt sie davon ab, es vom Gürtel zu lösen und an die Lippen zu führen.
Das Gras raschelte ein drittes Mal. Es teilte sich und eine weiße Schnauze schob sich aus den Halmen hervor. Leise Pfoten setzten auf der sandigen Erde auf. Weise Augen suchten ihren Blick. Sie wirkten so uralt wie die Sterne.
Die Kriegerin ohne Namen stand ganz still. In ihrem Herzen gab es keinen Platz für Angst. Der
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