314 - Exodus
Besprechung? Im ewigen Diodenlicht des Flächenräumers verlor er jedes Zeitgefühl. Auch draußen im Freien gab es wenig zeitliche Anhaltspunkte, da um diese Jahreszeit die Sonne nie unterging.
Sie versammelten sich in dem Verbindungstunnel zwischen der leeren Koordinatormulde und der Zieloptik, sodass auch Miki Takeo zu ihnen stoßen konnte. Gilam’esh ließ durch das Berühren einer Schaltfläche einen bionetischen Tisch aus dem Boden wachsen. Sie setzten sich auf die dazugehörigen Sitzflächen, die überbreiten Hockern ohne Lehne glichen. Wie alles in der Station waren auch die Möbel auf die Hydriten ausgerichtet, die selten größer als einen Meter sechzig wurden. Vor allem die gut zwei Meter langen Marsianer mussten ihre Beine regelrecht zusammenfalten, um Platz nehmen zu können. Takeo blieb einfach stehen.
Matt setzte sich auf das nachgiebige Material und sah sich in der Runde um. »Die Justierung scheint diesmal gelungen zu sein«, eröffnete er. »Somit hätten wir den ersten Zielpunkt festgelegt.« Er wandte sich an Quart’ol und Gilam’esh. »Wie sieht es mit dem Splitter aus?«
»Wir kommen gut voran«, erwiderte Quart’ol. »Es ist aber eine verfluchte Fitzelarbeit, sodass wir noch mindestens einen Tag brauchen werden.«
»Mir gefällt nach wie vor nicht, dass wir quasi übern Daumen peilen«, sagte Steintrieb. »Okee, wir können anmessen, wenn der Streiter die Mondumlaufbahn erreicht – aber dann bleibt uns ’n verdammt kleines Zeitfenster für den Schuss. Besser wär’s doch, wenn er auf’m Mond landen täte, dann hätten wir keine Hektik. Stimmt’s, oder hab ich recht?«
»Schon richtig – aber wie willst du ihn zum Mond locken?«, fragte Xij. »Mit einem Schild ›Tachyonen gratis‹?«
Steintrieb erlaubte sich ein kurzes Grinsen, bevor er verkündete: »Der fliegende Stachelschwanz!«
Matt brauchte einen Moment, den komplexen Gedankenzügen des Genies zu folgen. »Du meinst Thgáan?« Grao war mit dem Todesrochen – die Daa’muren nannten sie »Lesh’iye« – hier angereist, hatte ihn dann aber auf eine Parkposition in der Erdumlaufbahn geschickt.
»Eben den«, sagte Steintrieb. Man konnte ihm ansehen, wie er sich innerlich die Hände rieb. »Wenn ich das richtig gecheckt hab, ist er doch auch ein Geschöpf des Wandlers.«
»Nicht ganz«, antwortete Matt. »Die Daa’muren haben die Todesrochen geschaffen, aber mit Kristallsplittern, die vom Wandler stammten.«
»Geschenkt«, winkte Steintrieb ab. »Jedenfalls wird der Flattermann für den Streiter genauso interessant sein wie unser tiefgefrosteter Echsenmann.«
Matt begann zu verstehen. Der Streiter hatte Grao’sil’aana auf der Erde geortet und ihn unter seine Kontrolle gebracht. Vermutlich würde er auf Thgáan genauso reagieren. Wenn sie ihn zum Mond dirigierten...
»Wenn wir ihn zum Mond dirigieren und dort landen lassen, bevor der Streiter hier ankommt«, sagte Steintrieb, »wird der unter Garantie dort vorbeischauen. Und dann –«, er klatschte in die Hände, »ZACK!«
Matt kam nicht umhin, Steintriebs innovativen Verstand zu bewundern. Zwar wäre es ihm persönlich lieber gewesen, Grao selbst mit einer Rakete zum Mond zu schießen, doch neben ethischen Bedenken fehlte ihm schlicht das Material für die Umsetzung. Thgáan dagegen würde aus eigener Kraft den Mond erreichen können, denn er benötigte weder Nahrung noch Sauerstoff. Und dass sich der Rochen im All bewegen konnte, sehr schnell sogar, das hatte er selbst schmerzlich erfahren müssen, als Thgáan damals sein Shuttle auf dem Weg zur ISS angegriffen hatte. [2]
Doch die Umsetzung von Steintriebs Plan bedeutete, dass sie den Daa’mure aus seinem »Winterschlaf« wecken mussten. Niemand sonst konnte dem Todesrochen den Befehl geben.
»Wie geht es unserem daa’murischen Freund?«, fragte Matt an Xij gewandt, die die Aufgabe übernommen hatte, von Zeit zu Zeit nach Grao zu sehen.
»Er ist stabil.« Die burschikose junge Frau stützte das Kinn auf ihre Hand und sah Matt so interessiert an, als versuchte sie, seine Gedanken zu lesen.
»Ich habe ihn ausführlich untersucht«, bestätigte Clarice Braxton. »Er lebt. Allerdings wissen wir nicht, was passiert, wenn wir ihn aufwecken.«
Seitdem der Streiter versucht hatte, mit ihm Kontakt aufzunehmen, lag Grao in der Schleuse, deren Temperatur sie unter den Gefrierpunkt abgesenkt hatten. Ihn im Freien zu lassen verbot sich wegen der Barschbeißer. Diese gefräßigen Kreaturen hätten wohl nicht einmal
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