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314 - Exodus

314 - Exodus

Titel: 314 - Exodus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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Zwei-Mann-Zeppelin JUEFAAN, benannt nach Rulfans erstgeborenem Sohn, steuerte mit siebzig Stundenkilometern dicht unter den Wolken seinem Ziel entgegen. Die gut fünfundzwanzig Meter lange, fünfzehn Meter breite und zwölf Meter hohe Hülle wurde von einem starren Gerüst aus Holz und Leichtmetall gebildet, das mit Stoffbahnen überzogen war. Innerhalb des Gerüsts verteilten sich fünfzehn mit Wasserstoff gefüllte Traggaszellen aus superleichter, unbrennbarer Plastiflex-Folie. Die Luftschraube am Heck brummte geschäftig – es war ein Geräusch, das die beiden Insassen inzwischen trotz seiner Lautstärke kaum noch wahrnehmen, so vertraut erschien es ihnen.
    Aruula lehnte sich über den Metallrand der Gondel, als sie den ersten Vogel erblickte. Er drehte mit gespreizten weißen Schwingen eine weite Runde über das still daliegende Gewässer. Hin und wieder ragten die schimmernden Flächen und Spitzen von abschmelzenden Gletschern aus der Oberfläche des Meeres. Der Vogel schwang elegant über sie hinweg.
    »Schau!«, sagte sie mit belegter Stimme zu Rulfan und wies auf das Tier. »Das Land kann nicht mehr weit sein. Wudan hat uns sicher ans Ziel geführt.« Der Gedanke, bald wieder über fester Erde zu fliegen, ließ ihr Herz höher schlagen. Besonders die letzten sechstausend Kilometer von der Südspitze Afras zur Antakis [3] stellten eine Zerreißprobe für ihre Nerven dar. Unter ihrem kleinen Luftgefährt gab es seit drei Tagen nichts zu sehen als das schier endlose Meer.
    Wendoo war ihnen gnädig gestimmt, denn der Windgott hatte seine Stürme zurückgehalten, sodass sie in Rekordzeit die weite Strecke zurückgelegt hatten. Dabei kam es ihnen zugute, dass auch Aruula bereits längere Zeit mit Rulfans größerem Luftschiff, der MYRIAL II, unterwegs gewesen war, und dass sie sich mit der Steuerung am Hebel auskannte. So hatten sie sich nach einigen Einweisungen Rulfans mit dem Lenken abwechseln können.
    Die vergangenen Tage erschienen Aruula trotz aller Gefahren und Abenteuer eintönig. Sie hatten ihr viel zu viel Zeit zum Nachdenken gelassen, denn oft, wenn einer von ihnen lenkte, schlief oder ruhte der andere.
    Zeit genug, über Grao und seine schändlichen Taten nachzudenken. Der Daa’mure hatte sie mehrere Monate lang als Geisel in einer Höhle festgehalten, damit er auf den Dreizehn Inseln ihre Rolle als Königin übernehmen konnte. Und nun war Grao am Südpol, angeblich, um die Leute dort in ihrem Kampf gegen den Streiter zu unterstützen. Das glaubte Aruula ihm sogar, denn es musste auch in Graos Interesse liegen, die Bedrohung aus dem All abzuwehren. Doch welches neue Unheil würde der Gestaltwandler danach anrichten?
    Sie bangte um Maddrax’ Leben – trotz allem, was zwischen ihnen seit Anns tragischem Unfall vorgefallen war. Sie konnte sich eine neue Beziehung mit ihm nicht mehr vorstellen – aber tot wollte sie ihn auch nicht sehen.
    Rulfan drehte sich zu ihr und schenkte ihr ein Lächeln. Auf seinem sonst so bleichen Gesicht lag noch immer ein Anflug von Sonnenbrand, den er sich über Afra geholt hatte, trotz des Schattens, den der Ballonkörper warf. Dort, in einer der Wolkenstädte Pilatre de Roziers, hatten sie auch ihre Gasvorräte aufgefüllt; dem Kaiser selbst oder seinem Sohn Victorius waren sie nicht begegnet. »Ich wusste, dass wir es schaffen. Den schlimmsten Teil haben wir hinter uns.«
    Aruula nickte und dachte daran zurück, wie sie das erste Mal mit Maddrax vom Marianengraben her in der Antakis ankam. »Ewiges Eis« hatte Maddrax es genannt, weil das Land zu seiner Zeit gänzlich mit Eis überzogen gewesen war. Inzwischen war der Kontinent nur noch zu einem Drittel von Eis bedeckt. Die freigelegte Landmasse präsentierte sich im Licht der um diese Jahreszeit nie untergehenden Sonne als Labyrinth Tausender kleiner Inseln mit einer Gesamtfläche von einer Million Quadratkilometern.
    So vielseitig wie die Inseln zeigten sich die Bewohner des Südpols. Aus den Forschungsstationen waren vor dem Einschlag Kristofluus Bunker und Sicherheitszonen gemacht worden. Schutzorte, an denen sich Angehörige von Völkern verschiedenster Nationen nach der Katastrophe verkrochen und überlebt hatten. Und jedes dieser Grüppchen hatte seine eigene Geschichte vorzuweisen.
    Der Wind drehte und wehte ihnen in einer warmen Brise ablandig entgegen. Unter ihnen schwammen Treibhölzer und Algenteppiche. Rulfan ging stetig tiefer. Inzwischen fuhr er auf einer Höhe von kaum hundert Metern.
    »Warum senkst du

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