315 - Apokalypse
mehr. Wie ein Fisch auf dem Trockenen schnappte sie danach.
Ein schmächtiger Körper setzte sich auf ihren Bauch. Aus einem grauen Jungengesicht funkelten irre grüne Augen sie an.
Juefaans Augen...
»Der Streiter... verschont niemanden!«, flüsterte der Junge. Dann hob er das Küchenmesser hoch über den Kopf und versenkte die Waffe wuchtig in Myrials Hals.
***
Hykton, Hauptstadt der Hydriten, vor der Ostküste Meerakas
Die orangerot leuchtende Transportqualle trieb durch den wogenden Kelpwald auf das große Muscheltor zu. Oder besser: auf die Stelle, an der es bis vor kurzem noch gestanden hatte. Während der verheerenden Abwehrschlacht gegen die Horden Dry’tors war es zerstört worden, wie große Teile der dahinter liegenden hydritischen Hauptstadt auch. Selbst die große Schutzkuppel über der Unterwasserstadt Hykton, an deren Innenseite Jindra-Algen im Schein der Leuchtmikroben einen goldenen Schimmer über die ganze Stadt gelegt hatten, war den Attacken der Mar’osianer fast vollständig zum Opfer gefallen.
E’fah, die die Qualle steuerte, klackte leise. Sie war an der letztendlich erfolgreichen Abwehrschlacht beteiligt gewesen.
Aber für was? Damit eine noch größere Gefahr das vollenden kann, was der Fleischfresser Dry’tor nicht geschafft hat?
Als die Transportqualle den Kelpwald verließ, schossen ihr zahlreiche Wächter auf Maantas und Reitfischen entgegen und umringten sie. Fast alle hatten Blitzstäbe gezückt, manche waren auch nur mit einfachen Dreizacken bewaffnet.
Bei allen Meeren. Sie sind nervöser als sonst. Ist das wirklich nur die Furcht vor einer Rückkehr Dry’tors? Oder... Die hydritische Geistwanderin wagte gar nicht weiter zu denken. E’fah gab sich zu erkennen und verlangte eine sofortige Audienz bei Kal’rag, dem Obersten Hyktons und Vorsitzenden des HydRats. Obwohl sie und Kal’rag einander nicht ausstehen konnten, musste sie diese Animositäten vorübergehend zur Seite legen. Die Lage war ernster denn je.
Sie lenkte die Transportqualle durch einen Zugang der bionetischen Schutzkuppel, die von Ingenieuren und Bionetikmeistern gerade wieder aufgebaut wurde, aber schätzungsweise erst zu einem Zehntel wieder stand. Die Zerstörungen an den einst prächtigen Muscheltürmen, den Wohnkuppeln und in den Riffstraßen waren ebenfalls erst zu einem kleinen Teil behoben, der Meerespalast und die Pilgerstadt Gilam’esh’kar würden gar nicht wieder errichtet werden.
Auch die Hydriten, denen sie in den Straßen begegnete, schienen seltsam nervös zu sein.
Kurze Zeit später befand sich E’fah im Großen Beratungssaal des Hydrosseums Die Zerstörungen, die sie hier sah, stammten ihres Wissens nicht vom Kampf gegen Dry’tor. Sie setzte sich an den roten Korallentisch, konnte den angebotenen Algensalat aber nicht genießen, weil Ungeduld und große Sorge sie erfüllten. Immer wieder wechselte deswegen die Farbe ihres Scheitelkamms.
Trotzdem musste sie eine Zehntel-Phase [3] warten, bis sich endlich die Tür öffnete. Zu ihrem Erstaunen schwamm aber nicht Kal’rag herein, sondern Ner’je, seine Stellvertreterin.
»Ich grüße dich, E’fah«, sagte Ner’je ungewöhnlich ernst. »Du bist aus Gilam’esh’gad zurück? Ich hoffe, du bringst keine schlechten Nachrichten mit.«
»Doch, leider schon. Es passieren schlimme Dinge im Marianengraben. Aber darüber möchte ich dem gesamten HydRat berichten. Bitte berufe ihn ein.«
Ner’je klackte zustimmend. »Also gut.«
»Was ist mit Kal’rag?«
Ner’jes Scheitelkamm verfärbte sich in ein ungesundes Gelbgrün. »Wir wissen es nicht«, klackte sie leise. »Der Oberste ist nicht mehr er selbst, redet wirr und schlägt um sich. Kal’rag befindet sich in der Krankenstation und ist nicht ansprechbar. Einige andere Quan’rill sind in einer ähnlichen Verfassung...« Ner’je zögerte einen Moment. »Zuerst dachten wir an eine neue Angriffswaffe Dry’tors. Aber das ist wohl eher unwahrscheinlich. Wie geht es Gilam’esh?«
»Später. Ruf erst den Rat zusammen.«
Eine Phase später saßen sieben Hochräte und Entsandte des Neun-Städte-Bundes um den roten Korallentisch. Kal’rags Sitz und der weiterer vier Mitglieder blieben leer.
»In Gilam’esh’gad sieht es schlimm aus«, berichtete E’fah. Sie sah unweigerlich Bel’ars verzerrtes Gesicht in ihren Gedanken. »Überall herrschen Aufruhr und Zerstörung. Zahlreiche Hydriten drehen plötzlich durch und richten schlimme Dinge an. Und... Bel’ar war eine der Ersten.
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