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317 - Die letzten Stunden von Sodom

317 - Die letzten Stunden von Sodom

Titel: 317 - Die letzten Stunden von Sodom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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neben das Bett sinken und zog die herabhängende Decke halb über sich.
    Glück gehabt – die Frau hatte sie nicht entdeckt. Sie taumelte zum Lager des Hauptmanns und ließ sich neben ihn sinken. Xij roch eine Wolke von Parfüm und Alkohol. Die Schwarzhaarige zerrte am Hemd des schnarchenden Hauptmanns.
    »Melchior!«, rief sie lallend und weinerlich zugleich. »So wach doch auf, Melchior! Ich bin’s, Orphea, deine keusche Schwester!« Dann lachte sie, als hätte sie einen guten Witz gerissen.
    Da Melchior sich nicht rührte, schüttelte sie ihn doch, doch Melchiors einzige Reaktion war ein brünstiges Stöhnen. Offenbar besaß das Rütteln in seinen Träumen eine ganz andere Bedeutung.
    Xij spielte kurz mit dem Gedanken, unters Bett zu kriechen, doch die Dame war augenscheinlich so benebelt, dass sie ihre Umwelt kaum noch wahrnahm. Sie brabbelte in Aramäisch auf den Besinnungslosen ein und berichtete ihm, sie käme gerade von einer Orgie, auf der es mit jeder mit jedem getrieben und man irgendwelche Spiele gespielt habe, bei dem ein Hengst im Mittelpunkt gestanden hatte. Xij wollte es gar nicht näher wissen, doch Orphea redete ohne Unterlass, Punkt und Komma. Dazwischen lachte sie schrill und zerzauste das Haar des im Tiefschlaf liegenden Hauptmanns.
    Dann ging ihre Euphorie abrupt in Weinerlichkeit über. Sie packte Melchior beim Kragen und fragte unter Schluchzen, wann er denn endlich einen fähigen Assassinen finden würde, der bereit war, »Orlok ins Jenseits zu befördern«. Sie wäre es so leid, ständig von ihm bevormundet zu werden. Sie wolle auch endlich ihren Spaß haben.
    Davon abgesehen, dass Xij sich nicht vorstellen konnte, welche Art von Spaß Orphea vermisste, behagte es ihr gar nicht, Zeugin eines Mordkomplotts gegen den König von Sodom zu werden. Der Schlag ihres Herzens beschleunigte sich. Wenn Orphea sie nun entdeckte, war es mit einer bloßen Entschuldigung nicht getan. Als Mitwisserin ihrer Pläne würde sie den Morgen nicht mehr erleben. Behutsam zog sie sich nun doch unters Bett.
    Orphea brabbelte noch eine Weile auf Melchior ein, der aber nie zu erkennen gab, dass er auch nur eine Silbe ihres trunkenen Geschwätzes hörte. Dann verwünschte sie ihn, nannte ihn einen »degenerierten Zwerg« und erhob sich von seinem Lager.
    »Kroak soll dich holen«, murmelte sie gerade noch laut genug, dass Xij sie verstehen konnte. »Oder besser noch seine Jünger! Ich weiß längst, dass du ein Ungläubiger bist und deine Frömmigkeit nur heuchelst!« Sie hielt inne und atmete schwer. »Wenn du es nicht bald tust... wenn du mir diesen verkalkten Schwachkopf nicht bald vom Halse schaffst, Melchior... dann schwärze ich dich bei Orlok an!«
    Schließlich seufzte sie, trat wütend gegen einen Bettpfosten und wünschte ihrem Bruder schlechte Träume. Xij hörte sie die Tür des Gemachs öffnen und schließen, aber sie blieb an den Marmorboden gepresst liegen und wartete noch ein, zwei Minuten.
    Als sie sich erneut auf die Bettkante setzte, um in die Stiefel zu schlüpfen, rührte sich Melchior neben ihr und murmelte: »Hast du was gesagt, Junge?«
    »Nur, dass ich noch nie einen so fantastischen Liebhaber hatte«, murmelte Xij. Sie glitt an Melchiors Seite und tätschelte seinen Oberarm. »Noch nie war jemand so hart und gleichzeitig so sanft zu mir...« Sie seufzte wie eine satte Katze.
    Melchior reagierte mit einem Stöhnen. »Oh, mein Kopf... Mein armer, armer Kopf!« Er wollte sich aufrichten, doch die Pein warf ihn gleich wieder aufs Kissen zurück. »Ich glaube, ich brauche noch eine Stunde, bevor ich mich meinem Tagwerk widmen kann.« Er schaute zum scheibenlosen Fenster hin und begutachtete den heller werdenden Himmel. »Ah, es ist früher, als ich dachte!« Er stöhnte erneut, schaute Xij kurz an und murmelte mit geschmeichelter Miene: »So wie mein Schädel sich anfühlt, musst du auf weitere Kostproben meiner Kunst bis morgen warten, mein Süßer.«
    »Wie schade«, seufzte Xij und fügte hinzu: »Ich habe wunderbar geschlafen, Hauptmann. Du hast doch nichts dagegen, dass ich nach meinen Kameraden sehe, wie es ihnen ergangen ist?«
    Melchior drehte sich auf den Bauch, murmelte eine unverständliche Antwort und schnarchte weiter.
    Xij interpretierte das als Zustimmung. Sie sprang aus dem Bett und in die Stiefel und machte sich auf, die Waffenkammer zu inspizieren, solange der Palast noch nicht erwacht war. Doch bevor sie einen Fuß aus dem Gemach gesetzt hatte, fuhr Melchior plötzlich mit

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