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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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gesagt, daß Sie eine Tochter des Bettlerkönigs zum Weib haben.“
    „Das wissen Sie?“
    „Ich hörte es aus seinem Mund.“
    „Sie sind fremd und werden also wohl nicht wissen, daß dies eine
schwere Beleidigung ist. Kein braver Mann spricht von dem Weib eines
andern. Ich sah das Mädchen und gewann sie lieb, ohne zu wissen, wer
sie war. Ich hörte dann, daß der T'eu ihr Vater sei. Dennoch nahm ich
sie zum Weib, weil sie gut und brav war. Muß man mir das vorwerfen? Ich
war arm; der T'eu hat mich zum wohlhabenden Mann gemacht, denn er ist
sehr, sehr reich. Muß ich ihm und meinem Weib da nicht dankbar sein?
Darf ich sie beschimpfen lassen?“
    „Nein. In meinem Vaterland ist es keine Schande, die Tochter eines Bettlers zu heiraten.“
    „Auch eines Bettlerkönigs?“
    „Bettlerkönige gibt es bei uns nicht.“
    „Nicht? Dann ist Deutschland ein sehr unglückliches Land!“
    „Inwiefern?“
    „Weil die Menschen dort keine Mittel besitzen, sich von der Zudringlichkeit der Bettler zu befreien.“
    „Oh, wir haben ein sehr gutes, welches viel besser und heilsamer wirkt als das Ihrige.“
    „Welches?“
    „Die Polizei.“
    „Was kann da die Polizei tun? Doch nichts, gar nichts! Wenn ein
Bettler von mir eine Gabe haben will und ich verweigere sie ihm, so
zwingt er sie mir ab. Er bestreicht sich das Gesicht mit Kot. Er taucht
sein Gewand in Jauche und setzt sich vor meine Tür, daß ich den Gestank
nicht aushalten kann und kein Mensch zu mir hereintritt, um etwas zu
kaufen. Oder er nimmt einen Gong in die Hand und schlägt so lange auf
denselben ein, bis ich den entsetzlichen Lärm satt habe und ihm etwas
gebe. Oder er holt eine ganze Schar andrer Bettler herbei, welche sich
vor meiner Tür im Kot wälzen, sich mit Messern ins Fleisch stechen und
so lange heulen und klagen, bis die Vorübergehenden mir wegen meiner
Hartherzigkeit Vorwürfe machen und drohen, nichts mehr von mir zu
kaufen. Ein Bettler kann einen Geschäftsmann ruinieren.“
    „Nur hier bei Ihnen. In meinem Vaterland nicht.“
    „Was tut dort die Polizei mit ihm?“
    „Wenn er sich so benähme, wie Sie erzählen, so würde er bestraft.“
    „Womit?“
    „Man sperrte ihn ein, erst für kurze Zeit, wenn es sich wiederholte,
auf längere Zeit, und wenn er sich dann noch nicht gebessert hätte, für
lebenslang.“
    „Wohin sperrt man ihn da?“
    „In ein Arbeitshaus, wo er arbeiten muß und andre, fleißige Menschen nicht mehr belästigen kann.“
    „Aber wenn er nun alt, krank, ein Krüppel ist, der nicht arbeiten kann!“
    „So wird er versorgt, von der Gemeinde oder auch vom Staat. Betteln ist streng verboten.“
    „So ziehen bei Ihnen die Bettler nicht in ganzen, großen Scharen im Land umher?“
    „Nein.“
    „Dann ist Ihr Vaterland ein sehr glückliches Land und kein unglückliches, wie ich vorhin sagte. Bei uns ist das anders.“
    „Greift die Polizei nicht ein?“
    „Nein. Kein Mensch und kein Polizist darf sich an einem Bettler
vergreifen. Man muß sich an den Bettlerkönig, an den T'eu, wenden.
Kauft man sich bei ihm durch eine Summe los, so erhält man von ihm eine
Bescheinigung, einen Zettel, welchen man an die Tür klebt. Dann gehen
die Bettler vorüber. Der T'eu hat eine große Macht über sie. Er
verteilt das Geld, welches er für diese Zettel einnimmt, unter sie. Ist
er mit einem Distrikt fertig, so zieht er mit seinen Scharen nach einem
andern, um dort dasselbe zu tun.“
    „Das würde man bei uns Kwei-tsun (Brandschatzung) nennen und ihn samt seiner ganzen Schar auf zehn Jahre einsperren.“
    „Ist das nicht grausam?“
    „Nein, das ist Ordnung. Warum soll der arbeitsame Mensch es dulden
müssen, daß der Bettler ihm Geld abzwingt? Bei euch werden die Bettler
beschützt und die Fleißigen belästigt. Bei uns ist es umgekehrt, und
ich halte das für das Richtige.“
    „Ich auch, obgleich man das hier nicht sagen darf. Es kommt vor, daß
die Regierung, die Behörde gezwungen ist, mit dem Bettlerkönig einen
Kontrakt abzuschließen. Tritt zum Beispiel einer der großen Flüsse aus
seinen Ufern, so werden weite Strecken Landes überschwemmt, und
Millionen von Menschen verlieren ihren Erwerb. Da sind Hunderttausende
brotlos und zu Bettlern geworden. Sie wählen sich einen Bettlerkönig
und ziehen fort, um sich von ihm in den glücklicheren Provinzen durch
die Gaben, welcher er erzwingen muß, ernähren zu lassen. Er regiert
sie; er hat Gewalt über ihr Leben. Sie müssen ihm gehorchen. Hätten sie
ihn nicht, so

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