32 - Der Blaurote Methusalem
bewiesen haben.“
„Nicht nur unvorsichtig sind sie, sondern auch übermütig trotz aller Gefahr. Sie hätten diesen Tu-lu-ne-re-si-ti-ki sehen sollen, als er die Augen herausnahm.“
„Doch nur das eine!“
„Ja. Dann verlangte er das Bein des Oberpriesters. Welcher andere wagt das, wenn er sich in einer solchen Gefahr befindet! Ich habe noch nie einen Menschen gesehen, welcher seine Augen entfernen und sie wieder hineintun kann, ohne das Gesicht zu verlieren.“
Der Student erklärte ihm die Sache und fuhr dann fort: „Sie müssen frei werden, schon um Ihretwillen. Darf ich auf Ihre Hilfe rechnen?“
„Hm! Ich bin Beamter.“
„Sie sind Kuan-fu, sogar Tong-tschi, aber sie haben trotzdem in der letzten Nacht drei Gefangenen die Freiheit gegeben.“
„Eben deshalb kann ich nun heut nichts tun. Dieser junge Pang-tschok-kuan ist trotz seiner Jugend ein tüchtiger Mann. Er wird sich nicht betrügen lassen.“
„Und es muß doch versucht werden!“
„Wollen Sie es wagen, so begeben Sie sich in eine große Gefahr. Ich will Ihnen weder zu- noch abreden. Ich werde Sie nicht hindern, denn Sie sind verschwiegen und werden mich nicht verraten. Vielleicht gebe ich Ihnen sogar einen guten Rat. Aber verlangen Sie nicht, daß ich mich persönlich beteilige, und führen Sie die Sache so aus, daß ich dabei gar nicht in Betracht komme! Ich werde jetzt in mein Zimmer gehen, um zu überlegen. Denken auch Sie nach! Selbst wenn Sie etwas wagen wollen, ist vor der Nacht nichts zu tun. Bis dahin wird wohl ein Entschluß kommen.“
Auch der Methusalem suchte seine Stube auf. Er ging in derselben ruhelos hin und her. Sie wurde ihm zu eng, und er begab sich in den Garten, wo er den Wichsier und Richard fand, welche sich sehr angelegentlich mit demselben Thema beschäftigten.
Sie setzten sich an einer Stelle nieder, wo sie nicht belauscht werden konnten, und schmiedeten Pläne, ohne aber einen zu finden, welcher Erfolg verhieß.
„Sie müssen heraus, und sollte ich sie mit Kanonen herausschießen!“ rief endlich Degenfeld ungeduldig aus. „Es handelt sich nicht nur um Turnerstick und Mijnheer. Diesen beiden könnte ein kleiner Denkzettel gar nichts schaden; sie haben ihn reichlich verdient; aber daß Liang-ssi nun mit in diese Tinte geraten soll!“
„Es weiß doch niemand, daß er zu ihnen gehört“, meinte Richard.
„Jetzt noch nicht, aber sie werden es erfahren. Wenn sie morgen vor den Fu-yuen kommen, so werden alle Ausreden hinfällig; das sehe ich voraus. Diesem Beamten machen sie nichts weis!“
„Dat glaube auch ich“, stimmte Gottfried bei. „Am allerbesten wäre es, man schickte mir hin, sie zu verhören. Mein Urteil würde lauten: Jebt jedem einen jehörigen Nasenstüber und laßt sie dann laufen, soweit sie wollen! Hier in China Jötters zu spielen! So etwas ist noch aus keine Dachtraufe jefallen! Wie sie nur auf diesen unvernünftigen Jedanken jekommen sind?“
„Jedenfalls hat Turnerstick ihn gehabt, und der gute Dicke ist mit in die Patsche getrollt. Ich wette, daß beide noch gar nicht glauben, daß es ihnen unter Umständen recht schlimm ergehen kann. Hätte sich Liang-ssi nicht so mutig ihrer angenommen, und wäre der Mandarin nicht noch einmal zu ihnen zurückgekehrt, so hätten sie in der Gefahr geschwebt, vom Pöbel gelyncht zu werden. Kommt es nun morgen heraus, daß Liang-ssi zu ihnen gehört, so ist es um ihn geschehen. Er ist ein Chinese; ihn kann kein Konsul und kein Resident retten. Über ihm und auf ihn wird sich das ganze Gewitter entladen. Ich war so froh, ihn gefunden zu haben. Jetzt befindet er sich in der Gefahr, uns wieder entrissen zu werden. Das darf nicht geschehen; ich habe unserm Ye-kin-li mein Kong-kheou gegeben und werde unter allen Umständen mein Leben daran setzen, es halten zu können. Liang-ssi muß unbedingt frei werden; er muß heraus!“
„Ja, und sollte er mit Ketten an dat Firmament jebunden sein, wie Wallenstein jeschworen hat. Sollte uns denn keine jute Idee beikommen! Mein Kopf ist doch sonst kein Kohlenkasten!“
„Aber ich wüßte wohl etwas; aber es geht nicht.“
„Er weiß etwas, doch jeht es nicht! Nun, da wissen Sie eben nichts, mein oller Methusalem. Wat ist es denn, wat Sie wissen?“
„Wenn der Tong-tschi wollte, so wäre uns geholfen.“
„Ja, dat weiß ich auch. Hat er jestern die drei herausjeholt, warum sollte er es heut nicht fertigbringen!“
„Weil man nun klug geworden ist, und weil heut eine andere und schärfere
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