32 - Der Blaurote Methusalem
China eine kleine Anzahl ähnlicher Schiffe, was aber bei einem Reich, welches 410 Millionen Einwohner zählt, so viel wie gar nichts bedeutet.
Ist es mit der Disziplin auf den Kriegsdschunken nicht gut bestellt, so sieht es auf den Handelsdschunken in dieser Beziehung noch viel schlechter aus.
Der Eigentümer oder Superkargo des Schiffes hat die unumschränkte Herrschaft über die ganze Schiffsladung; er kauft und verkauft zu und von derselben ganz nach Belieben und führt ebenso die Aufsicht über die etwaigen Passagiere, welche ganz in seine Willkür gegeben sind. Über das Kommando des Schiffes und das Treiben der Mannschaft hat er kein Wort zu sagen.
Das Kommando führt, wie bereits erwähnt, der Kapitän, Ho-tschang genannt, was wörtlich ‚bejahrtes Licht‘ bedeutet und für Pilot zu nehmen ist. Ihm liegt bei Tag und Nacht die Führung des Schiffes ob und die genaue Beobachtung derjenigen Punkte, nach welchen er den Lauf desselben zu richten hat. Das ist ein sehr ermüdender Posten, weshalb es Ho-tschangs gibt, welche es fertigbringen, selbst im Stehen zu schlafen. Obgleich er der Kommandierende ist, gehorchen ihm die Matrosen nur dann, wenn seine Befehle nach ihrem Sinn sind. Im andren Fall schmähen und schimpfen sie offen auf ihn und tun oder lassen, was ihnen beliebt.
Sein nächster Untergebener ist der Steuermann, To-kung geheißen. Er führt das Steuer und gehorcht bald dem Ho-tschang, bald den Matrosen, je nachdem es zu seinem augenblicklichen Vorteil ist.
Die Matrosen zerfallen in zwei Abteilungen, die Tau-mu oder Vordermänner und die Ho-keh oder Kameraden. Es ist das eine Unterscheidung ungefähr wie zwischen unsern Voll- und Leichtmatrosen. Von diesen Leuten hat jeder dem andern zu befehlen, keiner aber will gehorchen. Ist nichts zu tun, so sind sie alle da; soll jedoch eine Arbeit geschehen, von welcher vielleicht vieles abhängig ist, so sind sie verschwunden.
Sodann ist ein Schreiber da, um die Rechnungen zu führen, ein Proviantmeister, welcher den ganzen Tag kaut und schlingt, und diejenigen, denen er nicht wohl will, halb verhungern läßt. In seine Fußstapfen tritt der Koch. Bei seiner Anstellung ist er gewöhnlich spindeldürr; nach kurzer Zeit aber hat er sich gewiß ein ansehnliches Bäuchlein angemästet. Es soll aber auch anderwärts so sein, in andern Ländern und andern Branchen. Auch mehrere Barbiere gibt es, unentbehrliche Leute, da der Todestag des Kaisers der einzige Tag ist, an welchem sich kein Chinese rasieren lassen darf.
Um eine Hauptperson nicht zu vergessen, sei noch der Hiang-kung genannt, zu deutsch der ‚Wohlgerüche Streuende‘. Er ist der Schiffspriester, welcher den Gottes- oder vielmehr Götzendienst versieht. Diese Obliegenheit besteht aber nur darin, daß er an jedem Morgen und Abend eine gewisse Anzahl Räucherstäbchen verbrennt.
Jeder einzelne der Mannschaft betrachtet seine Arbeit als ein Nebengeschäft. Hauptsache dagegen ist für ihn der Handel, welchen er treiben will und zu dessen Zweck er seinen jetzigen Posten eingenommen hat. Jeder darf eine gewisse Quantität Waren an Bord bringen; sobald nun irgendwo gelandet wird, rennen alle mit ihren Waren fort oder locken Käufer herbei, und so liegt jeder seinen eigenen Geschäften ob, ohne sich um andres zu kümmern. Ob die Dschunke früher oder später ihren Bestimmungsort erreicht, das ist diesen Leuten gleich. Der Ho-tschang muß sich nach ihnen richten; durch Zwang erreicht er nichts, und oft sieht er sich veranlaßt, das, was er eigentlich mit Strenge verlangen könnte, mit kriechender Freundlichkeit zu erbitten.
Da kann man sich nun wohl denken, wie Reisende auf so einer Dschunke aufgehoben sind. Ja, es gibt Fahrzeuge, in denen sich die Matrosen sämtlicher Räume bemächtigt haben. Kommt dann ein Passagier, den der Besitzer aufnimmt, so kann er sich nur damit helfen, daß er einen Matrosen überredet, ihm seinen Platz gegen eine Extrabezahlung zu überlassen.
So sind die berühmten Lung-yen beschaffen, und so sah es auch auf der ‚Schui-heu‘ aus, mit welcher der blaurote Methusalem und seine Begleiter nach Kanton fahren wollten.
Wehe aber dem Passagier, welcher eine zweideutige Dschunke betritt, um Passage auf ihr zu nehmen! Er glaubt, es mit ganz braven, wenn auch rohen, aber doch ehrlichen Leuten zu tun zu haben, und nichts verrät, daß das Gegenteil stattfindet. Unterwegs aber erkennt er zu seinem Schreck, daß er sich an Bord eines Flußpiraten befindet. Dann ist für ihn nur
Weitere Kostenlose Bücher