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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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seinesgleichen.
    Ganz ungewöhnlich für ein chinesisches Fahrzeug war ein ebenso hohes wie breites Brett, auf welches blaue Wogen gemalt waren, in denen eine Frauengestalt schwamm, die fünf Pfauenfedern im Haar trug. Darunter waren die beiden Zeichen Schui und Heu mit Silberfarbe in die blauen Wogen gemalt. Diese Dschunke war also ‚Schui-heu‘, die ‚Königin des Wassers‘. Eine schmale, leiterartige Bambustreppe führte vom Land aus zum Deck empor.
    „Das ist das Fahrzeug, welches ich meine“, sagte der Blaurote. „Es scheint kein Mensch zugegen zu sein. Als ich hier war, befanden sich Leute an Bord.“
    Turnerstick setzte den Klemmer auf das Näschen, musterte das Schiff mit Kennerblick und meinte: „Hm, nicht übel! Schlank auf den Kiel gebaut, scharfe Brust, kurzes, aber tief greifendes Steuer und schmale, lange Segel. Das Steuer ist der Schwanz, und die Segel sind die Flügel – gleicht einem Albatros, macht also scharfe, ruhige Fahrt, gehorcht dem Steuer leicht und legt sich nicht unter der Bö. Kann mir gefallen. Hat auch sonst einen netten Anguck und ist die adretteste Schwimmerin unter allen, die hier liegen. Will meinen Dollar gern bezahlen und auch noch etwas mehr, wenn das Innenwerk der Außenseite entspricht. Was sagen Sie dazu, Mijnheer van Aardappelenbosch?“
    „Het scheep is fraai“, antwortete der Gefragte. „Ik ben tevreden – das Schiff ist hübsch; ich bin zufrieden.“
    „Das denke ich auch, denn ich bin Kenner. Wenn ich zufrieden bin, können andre es auch sein. Die schwimmende Frau soll wohl die Wasserkönigin sein?“
    „Ja“, antwortete der Methusalem.
    „Was bedeuten denn die beiden Krikelkrakel darunter?“
    „Das ist die Unterschrift, eben Schui-heu.“
    „Schui-heu? Unsinn. Das sind doch keine Buchstaben, also keine Worte.“
    „Buchstaben hat der Chinese nicht, sondern Zeichen. Das erste Zeichen ist der fünfundachtzigste Schlüssel der chinesischen Schrift, besteht aus einer senkrechten Linie, zwei krummen, divergierenden Halbdiagonalen und zwei Quasten an denselben; es ist das Zeichen für Wasser. Das zweite Zeichen besteht aus –“
    „Um des Himmels willen, halten Sie ein!“ rief Turnerstick, sich mit den Händen nach den Ohren langend. „Mir brummt der Kopf schon von diesem einem Zeichen. Wie viele solcher Zeichen hat denn eigentlich die chinesische Schrift?“
    „Wohl achtzigtausend.“
    „Alle guten Geister –! Da lobe ich mir unsre Schrift mit den wenigen Buchstaben!“
    „Aber Sie, der Sie so ausgezeichnet chinesisch sprechen, sollten wenigstens die zweihundertvierzehn Schlüssel dieser Sprache kennen lernen!“
    „Wozu der Schlüssel, wenn ich gar nicht hinein will in die Schrift! Meine Schlüssel sind die Endungen; mit ihrer Hilfe bin ich in die Tiefen der Sprache eingedrungen, die Schrift aber ist mir Leberwurst. Lassen wir das also sein, und steigen wir lieber zum Deck der Dschunke empor. Es wird sich wohl ein Marsgast finden lassen, welcher einem Rede und Antwort steht. Aber, Methusalem, ich bitte mir aus, daß Sie schweigen! Ich selbst will sprechen und die Erkundigung führen. Sie mit Ihrem Bücherchinesisch könnten leicht alles falsch verstehen.“
    Degenfeld nickte bescheiden und schickte sich an, voranzusteigen; aber der Kapitän faßte ihn hinten an dem blausamtenen Schnürenrock, zog ihn zurück und sagte: „Halt, Musenalmanach! Ich bin der Sprecher und muß also voran. Schauen Sie doch, wie Sie sich hinauf schmuggeln wollen, um mir zuvorzukommen und das erste Wort zu haben! Ich heiße Tur-ning sti-king und mache meine Rechte als Mandarin geltend.“
    „Habe ja gar nichts dagegen, alter Seebär! Aber ich muß Sie warnen: Nennen Sie sich einem Chinesen gegenüber ja nicht Mandarin!“
    „Warum nicht? Denken Sie vielleicht, man erkenne den Esel unter der Löwenhaut, und ich werde wegen der Führung eines gestohlenen Titels bestraft?“
    „Ist auch möglich; aber ich meine nicht das, sondern etwas andres. Die Chinesen kennen das Wort Mandarin gar nicht.“
    „Nicht? Da sind sie dumm genug! Wenn wir es kennen, muß es ihnen doch erst recht geläufig sein!“
    „Eben nicht. Mandarin kommt her von dem Sanskritwort Mantri, ein weiser Ratgeber, ein Minister. Die Portugiesen hörten dieses Wort und machten es sich mundgerechter, indem sie es in Mandarin umwandelten. Mit diesem Titel belegten sie dann die chinesischen Beamten. Die Chinesen aber wenden dieses ihnen ganz fremde Wort niemals an. Sie nennen ihre Beamten alle Kuan,

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