32 - Der Blaurote Methusalem
machen, weil ich aus Ihrer Bescheidenheit ersehe, daß Sie nicht beabsichtigen, die loyalen Untertanen zu anderen Sitten und Gebräuchen zu bewegen. Auch gegen Ihre Kleidung will ich nichts einwenden, obgleich dieselbe diejenige eines Landes ist, welches noch nicht durch die Kleiderordnung des ‚Herrn des Reiches der Mitte‘ beglückt worden ist. Ich bin überzeugt, daß Ihre Anzüge Ihnen durch die heimatlichen Fakultäten vorgeschrieben worden sind, so daß Sie gegen den Kaiser Ihres Landes sündigen würden, wenn Sie hier andre tragen wollten. Darum werde ich Ihnen schriftlich gestatten, in dieser Kleidung bei uns einherzuwandeln. Auch werde ich Ihnen einen Ta-kuan-kuan ausstellen, welchen Sie nur vorzuzeigen brauchen, um überall als ein Mann behandelt zu werden, welcher die höchsten Ehren verdient. Sie brauchen in keinem Tien einzukehren, sondern steigen, wohin Sie kommen, beim Kuang-kuan ab und zeigen dem höchsten Beamten, welcher da wohnt, meinen Paß vor. Sie werden dann seine Gäste sein, nichts zu bezahlen haben und bis zum nächsten Reiseziel Sänften oder Pferde bekommen, ganz wie es in Ihrem Belieben steht. Alle diese Beamten sind verpflichtet, allen Ihren Befehlen, welche nicht gegen die Gesetze und Vorschriften dieses Landes verstoßen, Gehorsam zu leisten, und müssen für Ihre Sicherheit und für diejenige Ihrer Begleiter haften.“
Das waren Worte und Anerbietungen, wie Degenfeld sie sich nur wünschen konnte. Wie mußte ihm dadurch seine Reise erleichtert werden! Und welchen Vorschub mußte diese Erleichterung den Zwecken dieser Reise gewähren! Er hätte den Mandarin vor Freude umarmen mögen.
Dieser aber saß bleicher und matter als vorher da. Die lange Rede hatte ihn angegriffen. Dennoch fuhr er bereits nach kurzer Zeit fort: „Wenn ich das alles für Sie tue, hoffe ich, daß auch Sie mir eine Bitte erfüllen.“
„Gewiß, wenn es in meiner Macht liegt.“
„Sie können es. Verschweigen Sie, daß Sie uns hier gefunden haben! Kein Mensch darf wissen, daß wir gefangen waren und so geschändet worden sind. Wenn das vor die oberste Behörde käme, würde man uns sicher unseres Amtes entsetzen. Wollen Sie mir versprechen, daß auch Ihre Gefährten schweigen werden?“
„Sehr gern! Hier ist meine Hand.“
„Ich danke Ihnen! Alles übrige können wir später besprechen. Jetzt bin ich zu ermüdet. Ich muß ruhen und schlafen, vorher aber essen. Ich werde, wenn wir nach Hongkong kommen, mich mit dem Ho-po-so in die Kajüte zurückziehen, damit wir nicht gesehen werden. Am Abend werden wir dann in den Anzügen, welche Sie uns besorgen und die ich Ihnen ganz genau beschreiben werde, die Dschunke verlassen. Vor allen Dingen dürfen Sie die Knöpfe auf unsern Hüten nicht verwechseln. Ich habe die Würde eines Staatsrates und trage einen blauen Stein. Der Ho-po-so hat den Rang eines Assessors der höchsten Kollegien und muß einen lichtblauen Stein haben.“
„Werden dieselben in Hongkong zu kaufen sein?“
„Ja, wenn auch nicht echt; aber für die kurze Fahrt nach Kuang-tschéu-fu werden wir uns ihrer bedienen können. Ferner versteht es sich ganz von selbst, daß wir mit der englischen Behörde, welcher die Piraten ausgeliefert werden, nichts zu tun haben mögen. Diese Beamten dürfen ja nicht wissen, daß wir hier gewesen sind. Da aber die Schuldigen chinesische Untertanen sind, wird man sie uns ausliefern, und dann werde ich dafür sorgen, daß sie die Strafe der Räuber, nämlich den Tod, erleiden.“
Jetzt brachte der Gottfried den Reis und das Fleisch. Die beiden Mandarinen erhielten Eßstäbchen und begannen ihre Mahlzeit. Als dieselbe beendet war, zogen sie sich in die Kajüte zurück, welche die fünf Reisenden gestern angewiesen erhalten hatten.
Mittlerweile trat die Flut ein. Die See bewegte sich nach dem Land zu, gerade so wie der Wind, und die Dschunke machte eine gute Fahrt. Backbordseits wurden Felsen sichtbar, in denen Turnerstick das Kap Aquila erkannte. Die Dschunke segelte an den vor demselben liegenden kleinen Inseln hin und gelangte noch am Vormittag durch die Bai von Si-wan auf die Reede von Hongkong und wendete nach dem Hafen von Vittoria.
Man sah den ganzen Landungsplatz von einer, wie es den Anschein hatte, nach Tausenden zählenden Menschenmenge besetzt. Die Leute standen Kopf an Kopf, auch auf den vor Anker liegenden Schiffen.
Das Polizeiboot kam der Dschunke entgegen. Es war mit bewaffneten Beamten gefüllt, und Kapitän Beadle befand sich bei ihnen. Sie
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