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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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einen Dialekt bringen, bei welchem man Zahnschmerzen bekommen kann!“
    „Ja, der Dialekt ist schauderhaft“, stimmte Degenfeld bei, um die armen Teufel nicht länger schmachten zu lassen. „Ich will sehen, ob ich besser mit demselben vorkomme.“
    „Möglich, da Ihr Chinesisch auch nicht mehr wert ist als dasjenige dieser Leute!“ Der Blaurote handelte zunächst anstatt zu sprechen. Er zog den Riegel fort und schlug den Deckel des Kastens zurück. Zunächst wurden nur zwei rasierte Schädel sichtbar. Die dunkeln Haarstummeln auf der Mitte derselben bewiesen, daß sich da Zöpfe befunden hatten, welche aber abgeschnitten worden waren, bei den Chinesen eine ebenso große Schändung wie bei einem Indianer, dem man die Skalplocke raubt.
    Die beiden Männer blickten nach oben. Ihre Gesichtszüge waren wegen des dick darauf haftenden Schmutzes nicht zu erkennen. Sie wollten sich erheben, um aus dem Kasten zu steigen, fielen aber zurück. Die Einsperrung in diesen entsetzlichen Kasten hatte sie des Gebrauches ihrer Glieder beraubt. Degenfeld griff in den Kasten, hob sie nacheinander aus demselben und setzte sie in den Sand. Sie waren ganz der Kleider beraubt. Der eine von ihnen starrte vor Schmutz, der andre sah reinlicher aus, doch verbreiteten beide einen Geruch, welcher kaum auszuhalten war.
    „Mok put, ni-men put kian – Nicht wahr, ihr seid keine Piraten?“ fragte der Methusalem in mitleidigem Ton.
    „Yu, yu – Nein, nein!“ antworteten sie sofort im Ton des Abscheus, und der eine fügte hinzu: „Tsa-men put tsche fam-fu-suk-tsi – Wir gehören nicht zu diesem Gesindel!“
    „Ni-teng kuan-fu – Ihr seid Mandarinen?“
    „Tsche, tsche, ta kuan-fu – Ja, ja, hohe Mandarinen. Ngo ho-po-so, tsche tong-tschi tsai Kuang-tschéu-fu – Ich bin Ho-po-so und dieser ist Tong-tschi in Kanton.“
    „Ngo ko ni-tschai yen – Ich werde eure Aussage prüfen!“
    „Tsa-men ko tsän – Wir werden die Prüfung bestehen.“
    Das sagte der Mann in so zuversichtlichem Ton, daß Degenfeld ihm nun geglaubt hätte, wenn er vorher noch zweifelhaft gewesen wäre. Er setzte seine Fragen fort, um zu erfahren, auf welche Weise diese beiden Beamten auf die Dschunke und dann in den schrecklichen Kasten gekommen seien, und erfuhr da folgendes: Der Tong-tschi hatte auf einer Kriegsdschunke nach Kam-hia-tschin gewollt, einer kleinen Stadt an der Hong-hai-Bai, und war da von der Piratendschunke überfallen worden. Die Seeräuber hatten die Mannschaft des Kriegsschiffes durch Stinktöpfe überwältigt. Auch der Tong-tschi war betäubt worden. Als er erwachte, befand er sich in diesem Kasten. Wie lange er da gesteckt habe, wußte er nicht genau. Es war hier dunkel, und er konnte die Zeit nur nach dem Knallen des Feuerwerkes bemessen, welches bei jedem Sonnenuntergang auf jedem Schiff abgebrannt zu werden pflegt. Nach dieser Rechnung war er schon über eine Woche hier. Es war ihm unmöglich, seine Beine auszustrecken.
    Da er nach europäischen Begriffen Inspekteur der in der Provinz Kuang-tung stehenden Militärmacht war, wozu auch die Marine gehört, so waren ihm die Piraten ganz besonders feindlich gesinnt. Er hatte ihnen ein bedeutendes Lösegeld geboten; der Ho-tschang aber hatte ihm geantwortet, daß er die Sonne niemals wiedersehen und hier in diesem Kasten langsam sterben werde. Man hatte ihm täglich nur einen Schluck Wasser und dazu nur wenige, halb faule Früchte gebracht. Da er sich, seiner Schätzung nach, schon über eine Woche hier befand, so war er so abgemattet, daß er nur mit Anstrengung sprechen konnte. Als ganz besonderen Schimpf hatte man ihn seines Zopfes beraubt.
    Der Ho-po-so befand sich erst seit vorgestern in der Gewalt der Piraten. Er schien ein sehr pflichttreuer Mann zu sein, denn er erzählte, daß er ganz allein, und zwar am Abend, die ‚Königin des Wassers‘ bestiegen habe, um nach deren Papieren und sonstigen Verhältnissen zu fragen. Die Mandarinen pflegen sonst ihres Amtes nur mit dem gewohnten Gepränge zu warten. Niemand außer ihm wußte, daß er auf diese Dschunke gegangen sei. Über diesen Umstand hatte er eine unvorsichtige Bemerkung gemacht und war dann sofort festgenommen worden.
    Sein Amt brachte es mit sich, jedes unredliche Treiben zur See mit der Strenge des Gesetzes zu verfolgen. Da verstand es sich von selbst, daß die Piraten ihn haßten. Sie hörten, daß niemand von seiner Anwesenheit auf der Dschunke wisse, und daß man ihn also auch nicht auf derselben suchen werde. Darum

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