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32 - Der Blaurote Methusalem

32 - Der Blaurote Methusalem

Titel: 32 - Der Blaurote Methusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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zahlungsfähig, so kommt es vor, daß
der Geist seiner Begräbnisstelle überdrüssig wird, oder es stellt sich
an derselben irgendein Mangel heraus, von welchem er vorher nichts
geahnt hat. Da ist ihm vielleicht die Aussicht nicht gut genug, oder
die Stelle ist zu rauh oder feucht, so daß er des Nachts frieren muß.
Scharfen Zug kann er nicht vertragen. Vielleicht ist in der Nähe eine
Mühle angelegt worden, deren Klappern ihn in seiner Ruhe stört. Dann
erscheint er dem Priester und sendet denselben zu den Hinterlassenen,
damit diese ihm einen trockeneren, wärmeren, zugfreien und ruhigen Ort
suchen und seine Gebeine dorthin schaffen lassen. Abgeschiedene, welche
besonders eigensinnig und empfindlich sind, müssen wiederholt begraben
werden, bis die Verwandten endlich doch die Geduld verlieren und ihm
sagen lassen, sie achteten und ehrten ihn außerordentlich, aber er möge
nun auch sie in Ruhe lassen und von jetzt an verständig sein; sie seien
entschlossen, für ihn nun keinen Li mehr auszugeben, da er ihnen schon
mehr als genug gekostet habe.“
    „Dat ist lustig!“ lachte Gottfried von Bouillon. „Und dat jeschieht wirklich in allem Ernst?“
    „Sehr!“
    „Und wat lag in dem Wort Tsien für eine Beleidigung?“
    „Auch eine große. Man unterscheidet in China nämlich drei Klassen
der Bevölkerung. Die erste heißt Liang = die ehrenwerte; die zweite
Tsien = die wertlose, und die dritte Man = die heimatlose. Diese
Unterscheidung wird streng festgehalten. In die ehrenwerte Klasse
gehören Tsu = der Adel, Nung = der Ackerbauer, Tsang = der Kauf- und
Handelsstand, und endlich Kung = der Handwerker. Zur wertlosen Klasse
zählen die Bedienten, Schauspieler, Sänger, Tänzer, Musikanten,
Sträflinge, Leichenwäscher und Henker. Die Klasse der Heimatlosen
umfaßt alle, welche keinen festen Wohnsitz haben, von einer Provinz zur
andern ziehen und also meist in den öffentlichen Herbergen leben.
Wing-kan gehört als Goldschmied der ehrenwerten Klasse an. Sein Nachbar
hat aber behauptet, daß die Ahnen desselben zu den Wertlosen gehört
hätten, daß sogar einige von ihnen hingerichtet worden seien. Das ist
eine höchst beleidigende Mißachtung, ja Beschimpfung der Verstorbenen.
Doch habe ich alle Lust, zu glauben, daß der Beleidiger die Wahrheit
gesagt hat. Dafür soll ihm ein gestohlenes Götzenbild im Garten
vergraben werden. Findet man es, woran kein Zweifel sein kann, da sein
Gegner wohl Anzeige machen wird, so ist er verloren. Wir müssen das
verhüten. Ich bin gewillt, mit Tong-tschi darüber zu sprechen.
Vielleicht ist es ihm möglich, die Wohnung der beiden noch vor Abend zu
ermitteln.“
    Jetzt kehrte Liang-ssi zurück. Er meldete: „Den Agenten muß ich
nochmals aufsuchen, denn er war verreist und kommt erst morgen wieder
heim. Auch der Mandarin war ausgegangen, kehrt aber bald zurück. Der
Hausmeister teilte mir mit, daß Zimmer für uns bereitgehalten seien,
und ist selbst mit mir gekommen, um Sie in Sänften abzuholen. Er wird
sogleich erscheinen.“
    Er hatte kaum ausgesprochen, so trat der Genannte, ein behäbig
aussehender und feingekleideter Chinese, ein, verbeugte sich tief und
lud die sechs Personen im Namen seines Gebieters und in den höflichsten
Ausdrücken ein, in den Palankins Platz zu nehmen, welche draußen für
sie bereit ständen. Degenfeld bezahlte das Bier, welches noch teurer
als in Hongkong war, und folgte dann mit den Gefährten dem Hausmeister.
    Draußen standen sieben mit prächtigen Vorhängen versehene Sänften.
Vier Läufer, welche, um den Weg durch das Volksgedränge bahnen zu
können, mit Stöcken versehen waren, standen dabei. Der Hausmeister
komplimentierte die Gäste in die Palankins und zog deren Vorhänge zu,
damit die so fremd und auffällig gekleideten Insassen nicht durch die
Zudringlichkeit des Publikums belästigt werden könnten. Hinter der
letzten Sänfte hielten auch zwei Diener, welche die Gewehre zu tragen
hatten, weil diese ihrer Länge wegen nicht in die Portechaisen gingen.
    Was Heimdall Turnerstick betraf, so bückte er sich, ehe er einstieg,
nieder, um nachzusehen, ob sein Tragsessel etwa einen beweglichen Boden
habe. Er war um eine Erfahrung reicher und hatte keine Lust, eventuell
wieder ‚Sänfte laufen‘ zu müssen. Zu seiner Beruhigung sah er und
überzeugte er sich auch noch mit den Händen, daß der Boden fest und
stark genug war, ihn zu tragen.
    Als auch der Hausmeister eingestiegen war, setzten sich die Träger
in schnelle Bewegung. Der

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