322 - Götterdämmerung
umringt, überquerten sie einen menschenleeren Platz. Schweigend stapften sie durch den Schnee und steuerten einen großen flachen Bau an, dessen geschwungenes Dach fast bis zum Boden reichte. Aus mehreren Öffnungen in dessen First kräuselten sich kleine Rauchwolken in den Abendhimmel. Anscheinend bildeten dieses Haus und der Platz das Zentrum des Dorfes. Weiträumig waren sie umgeben von Stallungen und Unterständen, in denen Hunde bellten und Vieh blökte. Und scheunenartige Bauten, die wohl als Werkstätten dienten. Eine Schmiede war dabei. Neben dem Amboss prasselte ein Feuer, doch kein Schmied war zu sehen.
Verwundert blickte Matt sich um. Das eigentliche Wohngebiet schien erst hinter all diesen Aufbauten zu beginnen. Hütten und kleine Steinhäuser, so weit das Auge reichte. Offensichtlich handelte es sich um eine größere Siedlung. Doch wo waren die Bewohner? Weder von den Kindern, die noch vor wenigen Stunden vor ihrem Kerker herumgeschlichen waren, noch von den Frauen die geringste Spur. Die Umgebung wirkte wie ausgestorben.
»Wo sind die Leute?« Er warf Xij Hamlet einen fragenden Blick zu. »Hast du außer unseren Muskelpaketen hier irgendjemanden entdecken können?«
Xij schüttelte verneinend den Kopf. Ihr Gesicht wirkte versteinert und die Lippen bleich. Offenbar war ihre Gelassenheit verflogen. Den Blick auf das große Haus gerichtet, stakste sie aufrecht und starr zwischen den Wikingerriesen. Als würde sie zur Schlachtbank geführt. Matt hätte gerne ihre Hand ergriffen, doch die Fesseln erlaubten es nicht. »Nur Mut«, raunte er ihr zu.
Als sie schließlich den Flachbau erreichten, entdeckte Matt vor dem Gemäuer tatsächlich so etwas wie einen Opferaltar. Ein grob gezimmertes Holzpodest ragte dort aus dem Schnee. An einem spießartigen Gebilde hingen Kopf, Haut und Fell einer Ziege. Unter dem Podest rauften sich Hunde um die Überreste des Kadavers. Während Matt sich angewidert abwandte, öffneten vor ihm zwei der Kerkerknechte die Torflügel.
Grölendes Gelächter und Stimmengewirr brandeten aus dem Durchlass. Doch kaum hatten Matt und Xij die Halle dahinter betreten, verebbte der Lärm. Annähernd hundert Augenpaare waren auf sie gerichtet. Matt konnte nur Männer ausmachen. Die langen Tafeln, an denen sie saßen, bogen sich unter Schüsseln und Schalen gefüllt mit dampfenden Speisen. Es roch nach Gebratenem und Gesottenem. Fackeln an den Wänden, einzelne Herdfeuer auf dem Steinboden und Dutzende Funzeln auf den Tischen erhellten den Saal.
Als nun die Gefährten den Wächtern durch die Halle folgten, verstummte auch die letzte Stimme. Nur die Schritte der kleinen Prozession und das Knistern der Feuer waren noch zu hören. Auf dem Weg zum anderen Ende des Raums begegneten Matt finstere Mienen, feindselige Blicke, aber auch furchtsame Gesichter. Sahen Xij und er so befremdend aus? Was hatten die Wikinger vor mit ihnen? Sie machten nicht den Eindruck, als wollten sie mit ihren Gefangenen ein grausames Spielchen spielen. Eher, als wollten sie ihnen den Prozess machen. Doch welches Verbrechen warf man ihnen vor? Dass sie in ihrer Höhle campiert, Werkzeug gestohlen und sich ungefragt an den Vorräten bedient hatten?
Matts Blick fiel auf die gefüllten Schüsseln. Plötzlich verspürte er nagenden Hunger. Wann eigentlich hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Während er noch überlegte, hielten die Wächter vor einem Podest.
Dort thronten drei Gestalten auf Sesseln, aus deren Lehnen geschnitzte Drachenköpfe ragten. Rechts und links davon standen die beiden Frauen, die Matt und Xij im Kerker gewaschen hatten. Und hinter der Rothaarigen verbarg sich ein Kleinwüchsiger. Nur sein blond gelockter Schädel lugte hervor. Aus großen runden Augen beäugte er ängstlich die Ankömmlinge.
Doch Matt Drax nahm weder die Schöne noch den Zwerg richtig wahr. Er hatte nur Augen für das Magtron, das vom Brustharnisch des Mannes prangte, der auf dem mittleren Herrschersitz thronte. Der Supermagnet war also noch nicht verloren. Matt vergaß seinen Hunger und die Hundertschaft von Wikingern in seinem Rücken. Aufmerksam beobachtete er die Männer auf dem Podest.
Bei dem Träger des Magtrons handelte es sich offensichtlich um den Anführer der Siedlung. Ein schwergewichtiger Kerl mit grauer Mähne, hellblauen Augen und einer dicken Knollennase. Ein silbernes Stirnband hielt seine Haarpracht zusammen. Als habe er seltene Tiere vor sich, musterte er die Gefährten. Irgendwie wirkte er aufgeregt.
Ganz
Weitere Kostenlose Bücher