324 - Eine neue Chance
Ich folgte der Bewegung. Ob es nur ein Zufall, eine glückliche Fügung des Schicksals oder ein tatsächlicher mentaler Kontakt war: Gemeinsam blickten sie auf die Anzeige zum Ladestand.
Ein Ruck ging durch Matts Körper. Eine Sekunde lang stand er wie erstarrt vor der Optik. Sein Blick studierte die Zahlen.
»Was ist das?«, hörte er seine eigene Stimme wie die eines Fremden. »Der Flächenräumer ist wieder aufgeladen!«
Takeo trat näher. Seine Worte klangen unangemessen emotionslos. »Eine Fehlfunktion?«, fragte er sachlich. Kein Wunder – der Logik nach war es völlig unmöglich, dass sich die Energiespeicher so schnell regeneriert haben sollten.
Nein!, schrie Matt in Gedanken seinem anderen Ich zu. Kein Fehler! Feuere den Schuss ab!
Der alternative Matt schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich weiß nicht warum, aber ich bin mir fast sicher, dass es kein Computerfehler ist«, sagte er. »Koppel dich wieder an und überprüfte das, Miki.«
Keine Zeit verlieren!, brüllten Matts Gedanken. Die Koordinaten stehen. Schieß – sofort!«
» Oder warte...«, sagte sein alternatives Ich. »Das ist nicht nötig. Entweder funktioniert es, oder nicht. Was haben wir zu verlieren?«
Matt fühlte sich wie im Fieber. Die geistige Anstrengung war so kräfteraubend, dass die Welt um ihn schwankte und das Bild auf dem Monitor zerfloss. Einen Augenblick glaubte er zu stürzen, dann fing er sich wieder und atmete tief ein. Sein Atemrhythmus passte sich dem des zweiten Matt an. Gemeinsam sogen sie die abgestandene Luft der Anlage in ihre Lungen. Matts Körper verschmolz mit dem Leib, in dem er passgenau stand.
Vor ihm lag das Ziel zum Greifen nah. Der Speicherstand hatte die hundert Prozent erreicht.
Und endlich reagierte der andere Matt. Sein Daumen senkte sich auf den Auslöser. Die Anlage erwachte zum Leben. Ein greller Lichtblitz löschte alles aus.
II.
Canduly Castle, Schottland
Juefaan warf sich von einer Seite des Bettes auf die andere. Er ertrank in schwarzer, flüssiger Hitze, die sich wie Schlangen um ihn wand. Sein Geist raste durch das Universum, jagte die Wandler. Ich muss sie bekommen, sie alle. Nur sie können mir geben, was ich so dringend brauche.
Das Verlangen machte ihn wahnsinnig. Ein unstillbarer Durst trieb ihn vorwärts. Er, der doch selbst ein Jäger war, wurde gehetzt von seinem eigenen Verlangen. Er brauchte die Substanz der Wandler, wollte sie trinken, sich an ihr laben.
Juefaan packte die Decke fester, riss an dem Stoff mit den aufgestickten violetten Disteln.
Zerreißen, zerstören, zerfetzen... Seine Hände packten zu, die Fingernägel verkrallten sich im schweißgetränkten Überzug. Er hörte ein Ratschen, als der Stoff nachgab. Als wäre der Ton ein Weckruf, schreckte er hoch, packte erneut zu und zerteilte den Überzug an der Naht. Er biss hinein, zerrte und riss weiter. Einige seiner Fingernägel verhakten sich im Stoff, Blut quoll darunter hervor.
Juefaan fühlte den Schmerz nicht. Er raste weiter, das Bild der Wandler vor Augen. In seinem Toben stürzte er aus dem Bett, wand sich auf dem Boden. Er rollte gegen eine Vase und zerbrach sie, wälzte sich in den Scherben.
Die Schnitte am Rücken ließen ihn innehalten. Warmes Blut rann die Wirbelsäule hinab. Er stand mechanisch auf und trat ans Fenster. Draußen herrschte tiefe Nacht; von seinem Zimmer aus konnte er über den Innenhof der Burg sehen. Eine kühle Brise strich durch die undichten Fenster.
Er lehnte sich gegen das kühle Burggemäuer, verwirrt und verängstigt. Tränen liefen über seine Wangen. Die Hitze umgab ihn, als würde er im Zentrum eines Feuers stehen.
Mama, wo bist du? Mama?
Er sah ihre Ehrfurcht gebietende Gestalt vor sich, und plötzlich wusste er wieder, dass sie nicht mehr lebte. Der Gedanke war einfach da, so entsetzlich und unfassbar wie alles, was seit Stunden mit ihm vorging. Er schluchzte auf, verkrallte sich in den Vorhängen und riss sie zu Boden.
Neue Bilder peinigten ihn. Das Ritual der Bestattung, die Blicke der anderen. Und immer wieder sah er den Streiter wie einen Schatten über allem schwebend.
Es muss aufhören , flehte er. Was habe ich denn gemacht, dass sie mich so hart bestrafen? Ist Myrial böse auf mich?
Neue Tränen flossen. Er schluchzte lautlos.
Tot , hörte er eine hässliche Stimme in seinem Kopf flüstern. Deine Mama ist tot. Dein Papa auch. Es gibt nur einen Ausweg: Tu, was du tun musst. Töte sie alle und danach dich selbst. Dann werdet ihr wieder vereint
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