324 - Eine neue Chance
sein.
Juefaan stand langsam auf und ging wie ferngesteuert auf den Kamin zu. Am Mauerwerk über den Bodensteinen lehnte der Schürhaken. Er griff danach. Das Metall fühlte sich kühl und gut an.
Ein Geräusch ließ ihn innehalten. Die Tür öffnete sich. Im schwachen Restlicht der Sterne sah Juefaan einen Schatten mit unförmigen Umrissen eintreten. Er erinnerte sich an den Namen des dicken Mannes mit dem braunen Wuschelkopf und dem Vollbart: Cris Crump. Ein Hilar und Freund seines Vaters. Rulfan hatte gut von ihm gesprochen. Mit ihm würde er beginnen und ihn seinem Vater hinterher in den Tod schicken. Dann konnten die beiden an Wudans Tafel plaudern.
Mit erhobenem Schürhaken blieb Juefaan stehen, ganz ruhig. So stand der Streiter still, wenn er einen Planeten nach dem Wandler scannte. Juefaan wusste es.
Neben ihm fiel ein angerissener Vorhang endgültig zu Boden. Der fette Heiler fuhr herum.
»Was...?«, brachte Chris Crump hervor. Juefaan sah seine Augen, riesig, wie kleine Monde.
»Der Streiter kommt«, flüsterte Juefaan. Hitzewellen durchliefen ihn. Er kam sich vor wie eine lebende Flamme. Ob er wohl leuchtete?
Schwungvoll holte Juefaan aus und sprang auf Cris Crump zu. Er hatte den Fetten noch nicht ganz erreicht, als ein gewaltiger Schrei wie der Hammer eines Riesen auf ihn eindrosch. Juefaan brüllte zurück, stürzte zu Boden und wand sich in fürchterlichen Schmerzen. Sein Schädel drohte ihm zu zerspringen.
Cris Crump schrie auch, hoch und schrill, fast höher als er selbst.
Die Tür flog auf, herein stürmten Myrial und Sir Leonard Gabriel mit Laternen in den Händen. Die Flammen der Kerzen flackerten unruhig. Hinter ihnen kam der verängstigt wirkende Turner heran. Er ging gebückt, die Schultern eingezogen.
»Hört ihr das auch?«, wimmerte er und hielt sich den Schädel.
Myrial ging in die Knie, Gabriel stützte sich stöhnend am Kamin ab.
Juefaan sah sie die Gestalten wie durch einen roten Schleier. Das zuckende Kerzenlicht erschien ihm wie Blut, das sich über die Welt legte. Er begriff nicht, was der Schrei in seinem Kopf bedeutete, aber er fühlte eines ganz klar: Er starb. Diese Schmerzen konnte er nicht überleben.
***
Agartha
Chefwissenschaftler Chöpal trug die Uniform eines einfachen Gleisarbeiters. Er hatte sich die Haare abgeschnitten und das Gesicht mit Schmutz beschmiert, damit ihn niemand erkannte. Unter ihm lag die wunderbar ausgeleuchtete Felsenkathedrale Tiefental. Chöpal balancierte über einen langen Wartungssteg entlang der Gleisanlagen. Auf den drei Plateaus unter ihm breitete sich Tiefental Hoch Eins bis Drei aus. Von seiner erhöhten Position hatte er einen guten Überblick über die Menschenmassen, die sich unten drängten.
Agartha stand seit Tagen kopf. Es geschahen die unmöglichsten Dinge. Luftfahrzeuge wurden entwendet, Wahnsinnige starteten Amokläufe.
Direkt unter ihm, in der Glasgondel eines der vier Aufzüge, die Tiefental Hoch mit dem zwei Kilometer tiefer liegenden Tiefental verbanden, spielte sich eine Tragödie ab. Die Gondel war abrupt zum Halten gekommen, die Menschen im Inneren pressten sich an die Glaswände. In ihrer Mitte feuerte ein Mann mit einem Lasergewehr. Noch ein Durchgedrehter...
Chöpal selbst hatte erst vor Kurzem eine Waffe abgefeuert. Er hatte Lhündrub erschossen und die Flucht ergriffen. Seit zwei Tagen trieb er sich in den Stadtteilen Stadt und Felsengarten herum.
Wenn ich nur Lobsang Champa selbst erwischt hätte , dachte Chöpal betrübt. Statt des Königs hatte er nur den Vizekönig zur Strecke bringen können. Das war ihm nicht genug. Er wollte den gesamten Großen Rat ausrotten, mit dem König an der Spitze.
Samsara-Scheißer sind sie. Feige und inkompetent.
Der Große Rat hatte den kompletten Zugverkehr einstellen lassen und ließ die Bahnen in den Depots von starken Armee-Einheiten bewachen.
Champa selbst, dieses Stück Yaak-Dung, war mit seinem persönlichen Zug zum Luftschiffhafen geflohen. Auch die Großen Räte planten ihren Aufbruch, das wusste Chöpal von seinen Verbindungsleuten. Es war eine Schande ohne Namen, wie die Räte das eigene Volk im Stich ließen.
Am meisten störte ihn, dass er und seine Familie nicht mehr zur Führungsschicht gehörten. König Champa hatte Khyneste verhaften lassen, Chöpals Großmutter. Durch Champas verräterisches Wirken war Khyneste in Ungnade gefallen und somit Chöpals gesamte Familie.
Chöpal sah hinab in die Straßen. Der Streiter wird sicher nicht den ganzen Planeten
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