324 - Eine neue Chance
schnitten die Matratze an eben der Stelle auf, wo Tumaara eben noch gesessen hatte.
Die Welt schreit so entsetzlich , dachte sie gequält.
Nicht nur sie und ihre Schwester schrien wie von Sinnen. Es brüllte und kreischte in ihr und um sie herum.
»Der Streiter«, brachte Rebeeka zwischen den Schreien hervor. »Der Streiter... er stirbt...« Die Schwester fiel auf die Knie, wand sich neben Tumaara.
Draußen vor der Hütte wurden weitere Schreie laut. Tumaara fühlte sich mit den anderen Kriegerinnen der Dreizehn Inseln verbunden. Über tausend Frauen schrien gleichzeitig, stürzten zu Boden, waren zu keiner Handlung mehr fähig.
Tumaara spürte Rebeekas Schmerz wie ihren eigenen, ehe sie in eine tiefe, gnädige Ohnmacht sank.
***
Hykton, Hauptstadt der Hydriten, vor der Ostküste Meerakas
E’fah spreizte ihre Schwimmdornen, klappte sie wieder ein, spreizte sie erneut. Ihre Blicke wanderten vom Schatten eines Bionetikbaus unruhig über die Umgebung. Es sieht aus, als würde Hykton wieder in den Krieg ziehen.
Heerscharen von besetzten Mantaas und Reitfischen patrouillierten im Wasser. Die Wächter auf ihnen wirkten grimmig und zu allem entschlossen. An ihren Seiten hingen in geflochtenen Halterungen Blitzstäbe. Sie kreuzten in fast leeren Muschelstraßen. Seitdem viele Hydriten durchzudrehen begannen, sollte zumindest der Schein von Ordnung in der Hauptstadt des Bundes aufrecht erhalten werden.
Noch immer waren die Verwüstungen durch die Abwehrschlacht gegen Dry’tor deutlich zu sehen. Ganz in E’fahs Nähe ragte ein verwucherter Bionetikklumpen auf, der einst ein prächtiger Muschelturm über einer Riffstraße gewesen war. Durch die eingesetzte biochemische Waffe der Mar’os-Jünger hatte das Baumaterial zu wuchern angefangen. Das Gebäude war vom stolzen Sitz der Vereinigung der Qualleningenieure zum unbewohnbaren Klumpen mutiert.
E’fah wandte den Blick ab. Sie hatte vor knapp drei Phasen mit anderen Hydriten im Rat gesessen, um die Lage zu besprechen. Der Oberste Kal’rag schenkte ihr aufgrund ihrer Vergangenheit kein Vertrauen, doch die Rätin Ner’je kam E’fah entgegen. Wie alle Quan’rill, litt auch Ner’je unter der Nähe des Streiters. Mentale Wellen eilten dem Wesen aus dem All voraus und kündigten seine baldige Ankunft an. Viele spürten wie E’fah eine boshafte Gier, die ihre Fühler nach Ork’huz ausstreckte. Einige hatten Visionen eines zerstörten Rotgrunds, der Urheimat der Hydriten.
Aufgrund der Anzeichen war E’fah sicher, dass die kosmische Entität bald eintreffen würde. Ihre Gedanken wanderten zum Flächenräumer, zu Gilam’esh und Quart’ol. Hoffentlich ging es ihnen und ihren Freunden gut.
Belüg dich nicht , flüsterte eine leise, böse Stimme in ihr. Sie leiden genauso unter der Ankunft des Streiters. Vielleicht sind sie schon tot.
E’fah hatte erst vor zwei Phasen erfahren, dass es in Hykton und anderen Hydritenstädten zu Todesfällen gekommen war. Als sie im HydRat gesessen hatte, hatten einige Abgeordnete vorübergehend die Kontrolle über sich verloren und waren aufeinander losgegangen. Das war auch andernorts passiert. Ihr Volk hatte im Kollektiv verrückt gespielt. Seitdem waren die Muschelstraßen wie leergefegt, die Riffe lagen verwaist im Licht der Leuchtmikroben. Jeder fürchtete insgeheim, dass ein neuer, vernichtender Schub kam. Doch seit einer halben Phase herrschte Ruhe. Eine Ruhe, die auch die Ruhe vor dem Tsunami sein konnte.
Ich sollte hineinschwimmen und mich verbarrikadieren wie die anderen auch , dachte E’fah. Doch sie tat es nicht. Sie blieb im Herzen der Stadt, wie eine Schaulustige, die die Katastrophe sehen musste.
Wegschwimmen war nie meine Art. E’fahs Schwimmhäute juckten, die Schuppen fühlten sich kalt an. Sie war nervös wie selten zuvor. Wenn das der Untergang der Welt ist, will ich ihm entgegensehen.
Sie setzte sich wieder in Bewegung, kraulte an wie tot wirkenden Bionetikbauten vorbei. Jindra-Algen warfen ein warmes, goldenes Licht. Die Stimmung hätte friedlich wirken können, läge nicht im Wasser dieser unterschwellige Ton von Gefahr. Wie ein fernes Wummern nahm E’fah die Bedrohung wahr.
Irgendwo klackte ein Junghydrit in hellen Schreien. E’fah änderte den Kurs, schwamm auf ein muschelförmiges Gebäude zu und hielt inne. Der Schrei war abrupt verklungen. Sie konnte nicht zuordnen, woher er gekommen war. Eiskaltes Wasser schien über ihren Scheitelkamm zu rinnen. Hatte da jemand das eigene Kind
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