328 - Flucht aus dem Sanktuarium
Völkern ein Volk. Pah, dass ich nicht lache.« Die Augen des weißhaarigen Pablo funkelten, während er seinen Blick über die Anwesenden wandern ließ. »Damals waren wir noch so viele, dass unsere Anzahl den Platz bei den alten Weiden sprengte. Nicht so ein jämmerlicher Haufen. Dann aber brachen die meisten von uns nach Norden auf, um wieder in Ruhe leben zu können und nicht als Sklaven Juliano Dorgecàs zu enden. Um sich ohne den Schutz dieser stinkenden Cilluras frei zu bewegen. Aber eins sage ich euch: Ich werde nicht gehen. Ich bleibe!« Entschlossen setzte er die Flasche an seine bleichen Lippen und trank.
»Ja, ja, das Leben verändert seinen Gang unaufhörlich. Wie die Gestade des Flusses. Und die Wurzeln eines alten Baumes gewöhnen sich nur schwer an neues Erdreich. Wohingegen die Herausforderung des Neuen die Wurzeln der jungen Bäume erst richtig gedeihen lässt.« Der alte Fischer klopfte Pablo freundschaftlich auf den Rücken. Dann stützte er sich wieder auf seinen Stab. »Keiner von euch wurde geboren, um jemandes Sklave zu sein. Ob für einen Tag oder den Sonnenlauf eines Jahres. Hört euch an, was Pedró und Carlos euch zu sagen haben. Ihr Plan ist gut – wenn auch verwegen.« Nachdenklich hob Juan sein Gesicht zum verheerten Vollmond. »Mögen die Mächte, die nicht von dieser Welt sind, die Sache für euch entscheiden.«
***
Clarktown II, Sanktuarium, Februar 2528
Der Daa’mure trottete vor sich hin, widerstand dem ständigen Bedürfnis, sich umzuschauen. Sollte ihn doch beobachten, wer Lust dazu hatte!
Er hatte einen Wildpfad gefunden; hier und da entdeckte er Spuren, die von den Vogelartigen zu stammen schienen, manchmal auch frischen Kot. Einmal kreuzten drei dieser Riesen mit den Stummelflügeln seinen Weg, blieben stehen und äugten zu ihm. Grao’sil’aana riss sich das Gewehr von der Schulter, doch bevor er abdrücken konnte, sprangen die Bestien schon wieder in den Wald. Es schien sich herumgesprochen zu haben, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Gut so.
Der Daa’mure wollte zurück zu jenem Fort, das er als Erstes untersucht hatte, um von dessen Turmspitze aus den kreisrunden Horizont noch einmal genau unter die Lupe zu nehmen. Vielleicht hatte er ja einen Kamin übersehen, durch den man nach oben klettern konnte, oder einen Schachtgang, der in ein Stollensystem mündete, das zur Erdoberfläche führte. Ganz ausschließen konnte Grao’sil’aana das nicht. Vielleicht wollte er es auch nicht ausschließen.
Eine halbe Stunde war er schon unterwegs, hatte gut und gern zwei Kilometer unwegsamen Urwald hinter sich gebracht, da lichtete sich das Unterholz ein wenig und zwischen den Bäumen erkannte er eine felsige Anhöhe. Etwas schwebte dort ins Laubdach hinauf.
Grao’sil’aana blieb stehen, ging in die Knie, lauerte und lauschte. Außer den schon beinahe vertrauten Tierrufen aus dem Dschungel hörte er nichts – doch er sah etwas, das er hier unten bisher noch nicht gesehen hatte: Rauch.
Wirklich Rauch? Nicht einfach nur Dunst? Oder Dampfschwaden von einer heißen Quelle? Der Daa’mure schlich näher heran, beobachtete aufmerksam. Nein, so säulenartig, so dünn und dunkelgrau stieg kein Dampf auf. Und Dunst schon gar nicht. Eine Rauchsäule stand dort über dem Felshang, eindeutig.
Wo sich Rauch bildete, brannte in der Regel ein Feuer. Wo ein Feuer brannte, hielten sich in den meisten Fällen Primärrassenvertreter auf. Oder?
Der Rauch kam aus einem Höhleneingang. Sollten tatsächlich Menschen die Katastrophe überlebt haben, die das Sanktuarium so offensichtlich getroffen hatte?
Dicht am Felshang entlang schlich Grao’sil’aana von der Seite an den Höhleneingang heran. Immer wieder hielt er inne und lauschte. Nichts zu hören. Weiter ging es, Schritt für Schritt.
Wer auch immer dieses Feuer entfacht hatte – er musste zäh und kampferfahren sein. Wie sonst hätte er außerhalb eines Forts in dieser Wildnis überleben können? Und wer zäh war und kampferfahren, konnte nur gefährlich sein.
Vorsichtshalber nahm der Daa’mure das Schnellfeuergewehr von der Schulter und legte den Sicherungshebel um. Eine böse Überraschung, wie die mit den Vogelartigen, wollte er kein zweites Mal erleben.
Neben dem Höhleneingang ging er in die Hocke. Wieder lauschte er. Murmelnde Stimmen tönten aus der Höhle. Tatsächlich – es waren Primärrassenvertreter!
Er richtete sich auf, versuchte sich zu erinnern, wie die Menschen sich begrüßten, wenn man einander fremd war
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