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33 - Am Stillen Ozean

33 - Am Stillen Ozean

Titel: 33 - Am Stillen Ozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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schwammen; gefräßige Haie zerrten nahe am Ufer an dem Kadaver eines toten Hundes; aufgebrochene Muscheln glänzten im nassen Sand, und vielgliedrige Krabben krochen die Steilung der Felsen hinan.
    Die Häuser und Hütten der Stadt hatten sich schalkhaft unter den Kronen der Palmen und Fruchtbäume versteckt, und wo die reinlichen Straßen offen vor dem Blick lagen, da war eine reiche Menge von Lebenserscheinungen zu erkennen: weidende Zebuochsen, am Kanalbau beschäftigte Elefanten, deren Klugheit und Stärke zwanzig menschliche Arme ersetzte, schwarze Schildwachen, promenierende Ladies, durchsichtig weiße Kinder englischer Eltern mit kleinen, beweglichen französischen Bonnen oder hageren Londoner Governessen und braunen, eingeborenen Ammen, tabakrauchende singhalesische Mädchen und Knaben, behäbig und stolz einherschreitende Muselmänner, schachernde Juden, mit allen denkbaren und scheinbar wertlosen Kleinigkeiten behangen, bezopfte Malaylas, Betel kauende Ratschputen, Buddhapriester in ihrem langen, schwefelgelben Gewand mit nackt abgeschorenem Kopf und Bart, englische Midshipmen in roter Jacke, laut mit dem schweren Säbel rasselnd, malerisch schöne Hindumädchen: Nase, Stirn, Ohren, Arme und Beine mit Korallen oder Gold und Edelsteinen behangen.
    Über dem allen lag der bezaubernde Duft des Südens ausgegossen. Die Sonne schickte sich an, in die Wogen des Meeres zu steigen, und warf ihre Reflexe vom tiefsten, gesättigten Purpur bis zum leuchtendsten Flammengold über die rastlos sich neu gestaltende Fläche der wogenden See. Es war ein Anblick, in den man sich stundenlang versenken konnte, ohne seiner müde zu werden.
    Neben mir lehnte Sir John Raffley. Er bemerkte von alledem, was ich sah, nicht das geringste. Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel flimmerte und glühte, das strahlendurchblitzte Kristall der See, der erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte und die bunte, interessante Bewegung auf dem vor uns liegenden Fleckchen der schönen Gotteswelt, sie gingen ihm verloren; sie waren ihm im höchsten Grad gleichgültig; sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen. Und warum? Wunderbare und ganz überflüssige Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon in seinen Augen! Ein Eiland, eine Insel mit einigen Menschen, einigen Tieren und einigen Pflanzen darauf und rundherum von Wasser umgeben, welches nicht einmal zum Waschen oder zur Bereitung einer Tasse Tee geeignet ist. Was ist das weiter! Etwas Sehenswertes oder gar Wunderbares gewiß nicht! Was ist Point de Galle gegen Hull, Plymouth, Portsmouth, Southampton oder gar London; was ist der Gouverneur zu Colombo gegen die Königin Viktoria von Altengland, Irland und Schottland; was ist Ceylon gegen Großbritannien und seine Kolonien; was ist überhaupt die ganze Welt gegen Raffley-Castle, wo Sir John geboren worden ist?!
    Der gute ehrenwerte Sir John war ein Engländer im Superlativ. Besitzer eines unermeßlichen Vermögens, hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, und war einer jener zugeknöpften, schweigsamen Englishmen, welche alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entferntesten Länder unsicher machen, die größten Gefahren und gewagtesten Abenteuer mit unendlichem Gleichmut bestehen und endlich müde und übersättigt die Heimat wieder aufsuchen, um als Mitglied irgendeines berühmten Reiseklubs einsilbige Bemerkungen über die gehabten Erlebnisse machen zu dürfen. Er hatte den Spleen in der Weise, daß seine lange, knochige Gestalt nur in seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Genießbarkeit zeigte, besaß aber doch ein gutes Herz, welches immer bereit war, die großen und kleinen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen. Eine innere Erregung schien bei ihm gar nicht denkbar, und er zeigte nur dann eine lebhaftere Beweglichkeit, wenn er auf eine Gelegenheit stieß, eine Wette einzugehen. Die Wettsucht nämlich war seine einzige Leidenschaft, wenn bei ihm von Leidenschaft überhaupt die Rede sein konnte, und es wäre wirklich gradezu ein Wunder gewesen, hätte er eine solche Gelegenheit versäumt. Meine Leser werden sich erinnern, daß ich noch andere Englishmen kennengelernt habe, welche ebenso wie er an dieser Wettsucht litten.
    Nachdem er aller Herren Länder kennengelernt hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ein Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen

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