33 - Am Stillen Ozean
durchstreift, war auch schon einige Male auf Ceylon gewesen und im Auftrag des Gouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Stadthalter zu entledigen. Ich hatte ihn im Hotel Madras kennengelernt und mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Konnexionen mir von großem Nutzen sein konnten. Die Vertretung Deutschlands war damals keine so kräftige und imponierende wie jetzt, besonders in jenen fernen Ländern, und der Anschluß an einen Engländer, dessen Regierung die ihr Angehörigen allerorts nachdrücklich zu schützen wußte, also nur vorteilhaft zu nennen. Wir hatten uns nach und nach auch geistig zusammengefunden, und obgleich er mich niemals auch nur zur kleinsten Wette vermocht hatte, war ich ihm doch so lieb und befreundet geworden, daß er trotz seiner sonstigen Unnahbarkeit eine wahrhaft brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte.
Also jetzt lehnte er, völlig unberührt von den uns umgebenden Naturreizen, in denen ich sozusagen schwelgte, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, welcher ihm vorn auf der äußersten Nasenspitze saß, mit einer Beharrlichkeit, als wolle er an dem Sehinstrument irgendeine wichtige welterschütternde Entdeckung machen. Neben ihm lehnte sein Regen- und Sonnenschirm, welcher so kunstvoll zusammengesetzt war, daß er ihn als Stock, Degen, Sessel, Tabakspfeife und Fernrohr benutzen konnte. Dieses Unikum war ihm von dem Traveler-Club, London, Near Street 47, als Souvenir verehrt worden, er trennte sich niemals, weder bei Tag noch bei Nacht, von demselben und hätte es um alle Schätze der Welt nicht von sich gegeben. Diese Chair-and-umbrella-pipe, wie er es nannte, war ihm beinahe so lieb wie seine prachtvoll eingerichtete und pfeilschnelle kleine Dampfjacht, welche unten im Hafen vor Anker lag und die er sich für seinen persönlichen Gebrauch auf den Werften von Greenock am Clyde, den in aller Welt berühmten Schiffsbauwerkstätten, hatte bauen lassen, weil er stets auf eigenen Füßen stehen und von dem Befehl eines Kapitäns nicht abhängig sein wollte.
Während mein Auge nach unten schweifte, fiel mir ein Zug eingeborener Soldaten auf, welcher sich einem weit in die See hinausragenden Felsen näherte. Voran schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, welcher seiner Kleidung nach ein Singhalese sein mußte. Jedenfalls lag hier eine Exekution vor, und da ich das lebhafte Interesse, welches mein Gefährte für dergleichen Vorkommnisse hegte, gar wohl kannte, so machte ich den Versuch, ihn aus seiner welterschütternden Betrachtung aufzustören.
„Sir John Raffley!“
Er antwortete nicht.
„Sir John Raffley!“ rief ich mit erhöhter Stimme.
„Yes!“ antwortete er jetzt, natürlich ohne von dem goldenen Gestell seiner Brille aufzublicken.
„Wollt Ihr nicht einmal dort hinüberschauen, Sir?“
„Warum?“
„Ich glaube, es wird einer in das Wasser geworfen!“
„Einer? Was für einer? Ein Hund? Ein Pferd? Ein Mensch?“
„Ein Mensch, Sir John!“
„Well. So laßt ihn ruhig ersaufen, Charley!“
Er studierte mit unverändertem Eifer an seinem Klemmer weiter. Der Zug war auf der Höhe des Felsens angekommen und machte dort halt. Die Soldaten schlossen einen Kreis um den Gefesselten.
„Ich möchte doch wissen, was der arme Teufel verbrochen hat“, bemerkte ich, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Hat er Euch etwas getan?“
„Nein.“
„Good God, so laßt ihn also doch ersaufen, Charley!“
„Aber es sind ihm die beiden Arme zusammengeschnürt!“
Jetzt hatte ich das Richtige getroffen, um seine Teilnahme zu erregen. Jeder, auch der kleinste unnötige Eingriff in die persönliche Freiheit eines Menschen war ihm verhaßt.
„Gefesselt ist er? Zounds, das ist grausam, das ist feig, das ist gemein, das ist elend! Das würde man in Altengland nicht tun!“
„Ihr habt sehr recht. Der Brite ist in jeder Beziehung nobel. Wenn er einen hängt, so läßt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Die Barbarei freilich kennt solche menschliche Rücksichten nicht. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!“
„Wo ist es, Charley?“
„Da drüben auf der Felsenzunge.“
Er warf jetzt wirklich einen Blick hinüber nach dem Ort, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete immer noch eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber dieses Mal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher an das
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