33 - Am Stillen Ozean
korrumpierte Beamtentum regiert das Land, und das Geld ist mächtiger als der vielbeneidete ‚Sohn des Himmels‘, der sogar drei Tage lang fasten muß, ehe er das Todesurteil eines Mörders oder Majestätsverbrechers unterschreibt. Welche Macht soll da der Konsul eines fernen, fremden Landes besitzen! Oder soll wegen Kapitän Turnerstick und meiner Wenigkeit ein Seekrieg zwischen den Vereinigten Staaten und China hervorgerufen werden?“
Halverstone lachte.
„Ihr habt nicht so ganz unrecht; aber ärgerlich ist es doch, gegen diese Kerls nichts tun zu können!“
„Nichts tun? Ich denke, wir beide haben getan, was zu tun möglich war und was wohl kein Konsul fertig gebracht hätte: wir haben die Strompiraten gezwungen, eine Gefangene und auch uns selbst wieder freizugeben, und zwar ohne Lösegeld. Ich bin der angenehmen Hoffnung, noch einmal mit ihnen zusammenzukommen, und dann wird es mir vielleicht gelingen, noch weiter mit ihnen abzurechnen.“
„Begebt Euch nicht mutwillig in Gefahr, Sir. Wo jährlich Tausende von Menschen spurlos verschwinden, da ist es sehr geraten, nur immer vorsichtig zu sein!“
„Zounds“, rief Turnerstick; „sehen wir etwa aus, als ob wir verschwinden wollten oder verschwinden könnten?“
„Nein!“
„Also! Ich wünsche nur, diesen Kerls nochmals zu begegnen, um vollständig quitt zu werden. Aber laßt uns aufbrechen, da wir hier doch nun fertig sind!“
Ich wandte mich zu dem Bonzen.
„Ich sagte dir, daß ich dich nicht vergessen werde, und habe Wort gehalten: dein Kom-tscha hast du, wenn auch in anderer Weise, als du dachtest. Ich gehe, ohne dich weiter zu züchtigen. Hast du mich aber belogen, so komme ich wieder!“
Er verbeugte sich so tief, als er konnte.
„Ich sagte die Wahrheit, und du wirst also nicht wiederkehren. Tsing lea – o, Herr!“
Das Boot trug uns ebenso schnell nach dem Fluß zurück, als es uns hergebracht hatte. Wir bestiegen die Yacht und dampften stromaufwärts nach Wampoa zu, welches nicht mehr weit entfernt war und sich zu Canton ebenso verhält, wie Bremerhaven zu Bremen oder Cuxhaven zu Hamburg. Das seichte Wasser des Flusses gestattet nämlich größeren Schiffen nicht, den Fluß weiter hinaufzugehen, sondern die Güter müssen hier in Boote und Dschunken umgeladen werden.
Von hier aus nach Canton sind es zwölf englische Meilen, welche die Yacht zurücklegen konnte, da ihr Tiefgang nur ein sehr geringer war. Sie legte in der Nähe der englischen Faktorei an, deren Banner weithin zu sehen war.
Von der Stadt selbst hatte man bisher wenig zu sehen bekommen, als am Ufer hin eine zahllose Menge von Bambushütten und auf dem Wasser jene verankerten Wohnungen, welche die Chinesen Sampan nennen. Der Fluß wimmelte förmlich von kleineren Fahrzeugen jeder Bauart. Von hervorragenden Gebäuden, wie sie ja sonst in größeren Städten zu finden sind, war kein einziges zu sehen, außer einer alten Pagode und einigen hinter der Stadt auf Hügeln gelegenen Baulichkeiten, die entweder Tempel oder Befestigungen zu sein schienen.
Die Sampans sind in Straßen oder Reihen geordnet und stehen unter einer sehr ordnungsliebenden Platzpolizei, welche jede entstandene Lücke sofort wieder schließen läßt. Sie sind an Pfähle befestigt, und der Besitzer darf ohne vorhergehende Meldung oder Erlaubnis seinen Platz nicht verlassen, um einen neuen aufzusuchen.
Die ärmlichsten bestehen aus einem Floß, auf welchem die Wohnung errichtet ist. Diese Wohnung ist aus Bambus gebaut und mit Bambus gedeckt, wie überhaupt der Chinese ohne seinen Bambus gar nicht bestehen könnte. Die Fugen sind mit einer Art von Zement verstrichen, und als Bindemittel dient gespaltenes Rohr, womit alle Teile, sozusagen, zusammengenäht sind.
Andere Wohnungen von derselben Bauart sind auf richtigen Booten errichtet und gehören gewöhnlich armen Fischerfamilien, welche des Erwerbs wegen öfters ihre Stelle wechseln. Man sieht diese Sampans sehr oft mit dem Strom treiben, quer über denselben gehen oder auch gegen das Wasser halten. Im Stern des Fahrzeugs steht gewöhnlich die Frau und steuert dasselbe mit einem langen Ruder, welches sie nach Art eines Fischschwanzes hin und her bewegt. Im Vorderteil hilft der Mann mit einem ähnlichen Ruder, welches er gelegentlich beiseite legt, um sein Netz auszuwerfen, welches entweder aus dünnen Rohrstäben oder aus Kokosnußfaser geflochten ist. In der Mitte befindet sich das Bambushäuschen mit der Küche. Dort halten sich auch die
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