33 - Am Stillen Ozean
Antwort.
„Ist dieser Diener zugegen?“
„Er ist im Innern des Miao; du wirst ihn sehen, wenn du hineingehst. Doch mußt du dem Gott auch ein Opfer bringen.“
„Worin besteht dies?“
„In Blumen und Tsan-hiang, welche du anbrennst.“
Der Mann wollte natürlich etwas verdienen. Ich ließ ihm seine Blumen und Tsan-hiang und gab ihm lieber ein kleines Kom-tscha, welches er mit großem Dank annahm und sofort mit seinem Gefährten teilte.
„Sind viele Kuang-ti-dse in diesem Miao?“ fragte ich.
„Es ist noch keiner hier.“
„Seit wann steht ihr heute hier?“
„Seit die Sonne aufgegangen ist.“
„Wird auch des Nachts der Gott von seinen Gläubigen angebetet?“
„Ja.“
„Da seid ihr auch hier?“
„Nein. Des Nachts kommen nur diejenigen Gläubigen, welche sich nicht vor den bösen Geistern fürchten, mit denen der mächtige Kuang-ti kämpft, sobald es dunkel geworden ist.“
„Kommen diese bösen Geister alle Nächte herbei?“
„Ich weiß es nicht; aber heut sind sie hier gewesen, denn sie haben dem Stallmeister des Gottes das Schwert entrissen. Kuang-ti aber ist stark und mächtig; er hat sie vertrieben.“
„Was sagt der Mensch?“ fragte Turnerstick. „Er spricht ja ein ganz armseliges Chinesisch!“
„Er sagt, daß wir chinesische Kriegsgötter sind.“
„Er hat wohl einige Speichen zu viel oder zu wenig im Steuerrad!“
„Möglich. Er meint, daß diese Nacht böse Geister hier gewesen seien, welche dem Götzen das Schwert entrissen haben; aber der mächtige Kuang-ti hat sie vertrieben. Folglich sind wir Kuang-ti oder Kriegsgötter.“
„Diese beiden Männer wissen vielleicht ebenso gut wie wir, was vorgegangen ist, werden sich aber hüten, es zu sagen.“
„Kann sein.“
„Sind die Drachenmänner noch hier?“
„Nein.“
„Well, so werden wir diese Rinaldinibude einmal genau untersuchen!“
Wir traten durch den Eingang in einen Hof, welcher ein Rechteck bildete und nichts zeigte als zwei achteckige Pagoden, welche je im Mittelpunkt seiner beiden schmalen Seiten standen. Durch ein zweites Tor gelangten wir in einen andern Hof, wo wir rechts und links zwei kleine offene Nebentempel erblickten, in denen die dicke Figur des Kuang-ti nebst der gewöhnlichen Gesellschaft seines Sohnes und Stallmeisters saß. Durch ein drittes Tor traten wir sofort in den Haupttempel, den wir gestern abend bereits betrachtet hatten. Hinter der Bildsäule des Götzen befand sich die auch schon erwähnte Rumpelkammer, an den beiden hintersten Ecken des Raumes aber führte je eine Tür in einen Hof, in welchem nichts als ein viereckiges Wasserloch zu erblicken war. Das Ganze wurde von einer starken, vielleicht fünfzehn Fuß hohen Backsteinmauer umgeben und bildete ein großes Rechteck.
Erst als wir aus dem Haupttempel in den letzten Hof traten, erblickten wir den gesuchten ‚Diener des Gottes‘, und zu meiner lebhaften Überraschung erkannte ich in ihm den Mann, welcher gestern mit der berühmten Luntenflinte so ausgezeichnet manövriert hatte. Er trug jetzt einen Bonzenanzug.
„Erkennt Ihr den Menschen, Käpt'n?“ fragte ich Turnerstick.
„Blitz und Knall, ist das nicht der famose Artillerist, der die fürchterlich krumme Feldschlange hatte?“
„Also irre ich mich nicht, denn Ihr erkennt ihn auch.“
„Dieser Priester ist einer der Drachenmänner?“ fragte Halverstone.
„Ja.“
„Nicht übel! An Anerkennung soll es nicht fehlen. Ihr müßt nämlich bedenken, daß Ihr keinerlei chinesischer Gerichtsbarkeit Hilfe und Unterstützung oder gar Gerechtigkeit findet. Wir müssen den Mann selbst bei den Ohren nehmen.“
„Einen Priester? An einem Ort, der hier für ein Heiligtum gilt?“ fragte ich.
„Pshaw!“ antwortete Turnerstick. „Habt Ihr gestern abend etwas Heiliges bemerkt? Hiebe, ganz gewaltige Hiebe soll der Kerl haben. Sein Kriegsgott mag ihm dann den Rücken salben!“
In jedem andern Land wäre ein solcher Vorsatz lebensgefährlich gewesen, bei den hiesigen korrumpierten Zuständen schien auch mir keinerlei Gefahr aus einer solchen Lynchjustiz hervorzugehen.
Der Diener des Kriegsgottes hatte uns noch gar nicht bemerkt; er stand an dem Wasserloch und fütterte die Schildkröten, welche sich in demselben befanden. Wir gingen auf ihn zu. Beim Schall unserer Schritte drehte er sich um, und es war deutlich zu sehen, wie sehr er bei unserm Anblick erschrak. Doch faßte er sich sofort wieder, und in seinen listigen Zügen war nicht die mindeste Unruhe zu
Weitere Kostenlose Bücher