331 - Verschollen in der Zeit
Erwägung ziehe, auf die Einnahme weiterer Dosen zu verzichten. Manchmal starre ich danach stundenlang vor mich hin und träume mich an den Ort zurück, dem mich ein grausames Schicksal entrissen hat.
Neben dem Gift, das meinen Körper stärkt und mich offenbar immun gegen Krankheiten macht, indem es Bakterien abtötet, benötige ich aber auch etwas zu essen und zu trinken.
Flüssigkeit erweist sich als das kleinere Problem: Ganz in der Nähe der Pyramide, am Hang des erloschenen Vulkans finde ich eine Quelle, die irgendwann einmal von Menschen mit Steinen eingefasst wurde. Die Steine sind nun ebenso verformt wie alles, was sich in der Umgebung der Pyramide befindet. Sie sehen aus wie flüssig geworden und wieder erstarrt. Aber das Wasser, das aus einer Felsöffnung in ein Becken sprudelt, ist immer noch Wasser, wie es auch zu meiner Zeit existiert.
Was mich verwundert hat, ist der Geschmack. Es besitzt eine metallische, leicht rostige Note, die wohl dem Vulkan geschuldet ist. Zunächst hat es mich geekelt, doch inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.
Mit Nahrung, die meinen Bedarf an Kohlehydraten, Eiweiß, Vitaminen und Mineralien abdeckt, verhält es sich schwieriger. In der Heimat deckt man seinen täglichen Bedarf vorwiegend mit Konzentraten. Hier aber wird mir ein Rückfall in barbarische Zeiten förmlich aufgezwungen.
Zunächst begnüge ich mich mit Früchten, die an verzerrten Sträuchern wachsen und selbst grotesk verformt sind. Doch mein Körper verlangt nach mehr. Ich spüre, dass die Schwäche, die mich nach wie vor plagt, nur mit gehaltvollerer Nahrung zu besiegen ist. Und so stelle ich kleinerem Getier nach: Nagern und Vögeln.
Die geflügelte Schlange trage ich immer bei mir. Aus biegsamer Pflanzenrinde habe ich ein »Geschirr« gefertigt, aus dem sie aus eigener Kraft nicht mehr entkommen kann, obwohl sie es vehement versuchte.
Nachts, wenn ich wach liege und zu den Sternen emporblicke, spüre ich, wie sich ein fremder Wille in mich zu schleichen versucht. Es ist die Schlange, daran gibt es keinen Zweifel. Ihre klugen Augen verraten sie. In dem kleinen Kopf steckt eine Intelligenz, die die Natur gewiss nie vorgesehen hatte. Die Außerirdischen aus der Raumarche – ihre Bezeichnung habe ich vergessen – müssen dafür verantwortlich sein. Es ist eine Intelligenz, die mich belauert und stumm verflucht, weil ich klüger und stärker bin als sie und ihren Versuchen, mich gefügig zu machen, widerstehe.
Das Reptil fasziniert mich mit jedem Tag mehr. Aber mit jedem Tag, den ich es in Gefangenschaft halte und mir meine Dosis Gift aus ihm ziehe, merke ich auch, dass es sich verändert, an Vitalität einbüßt. Und eigentlich lebt es schon länger, als ich mir erhoffen durfte, denn es verweigert alle Nahrung, die ich ihm vorsetze. Schließlich muss ich einsehen, dass die Schlange lieber sterben will, als sich weiter missbrauchen zu lassen.
Ich an ihrer Stelle würde vielleicht das Gleiche tun. Aber ich bin an meiner Stelle, weshalb ich darauf keine Rücksicht nehmen kann und will. Für einen Tag verzichte ich darauf, mir ihr Gift zu verabreichen – ich tue es, um herauszufinden, wie abhängig ich davon wirklich bin und ob ich nicht inzwischen auch ohne auskäme.
Die Folgen sind schlimmer als gedacht. Kalter Schweiß bricht mir aus, Schwindel überfällt mich, als der Zeitpunkt der täglichen Gifteinnahme um mehr als drei Stunden überschritten ist. Ich kämpfe dagegen an, aber es ist so furchtbar wie am allerersten Tag in dieser Welt. Nach nur einer Stunde Kampf und Widerstand gebe ich auf, schnappe mir das Reptil und zwinge seine Zähne in mein Fleisch.
Die Erlösung folgt auf dem Fuß.
Spätestens jetzt weiß ich, dass ich mir etwas einfallen lassen muss. Ich suche und finde einen Weg, gemolkenes Gift für ein paar Tage aufzubewahren, ohne dass es seine Wirkung verliert. So lege ich mir einen kleinen Vorrat an. Zwei, drei Tage kann ich herausschinden, bevor die Schlange in eine Starre verfällt, die mir unmissverständlich klar macht, dass es mit ihr zu Ende geht.
Jetzt muss ich handeln.
Während ich mich von ihrem Gift bediene, lockere ich an diesem Tag unauffällig das Geschirr. Die Schlange liegt wie tot in meiner Hand; ich muss sogar ihre Kiefer auseinanderbiegen, um die Giftzähne freizulegen. Als ich fertig bin, ziehe ich mich zurück. Die Schlange bleibt angebunden im Schatten eines Baumes. Ich beobachte sie aus einer Deckung heraus.
Schon nach kurzer Zeit kommt Bewegung in das bis
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