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331 - Verschollen in der Zeit

331 - Verschollen in der Zeit

Titel: 331 - Verschollen in der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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dahin reglos daliegende Reptil. Das altbekannte Spiel beginnt: Die Schlange windet und krümmt sich, um die Fesseln zu lösen. Die Kraft, mit der sie dies tut, verblüfft mich. Mir wird klar, dass es ein gezielter Schachzug von ihr war, mich glauben zu machen, es ginge mit ihr zu Ende. Ich hoffe, dass sie meinen Schachzug nicht ebenso durchschaut.
    Schon nach kurzer Zeit gelingt ihr dank meiner Vorarbeit, das Geschirr abzustreifen. Ihre seit Tagen schlaffen Hautflügel spannen sich. So schnell, dass das Auge kaum zu folgen vermag, ist ihr Schlag, mit dem sie ihren Körper in die Höhe schwingt. Mit leisem Sirren gleitet das Reptil durch die Lüfte davon.
    Ich warte, ein Okular am Auge, das ebenfalls aus dem zeitlosen Raum geschleudert wurde und es mir erlauben wird, dem flüchtenden Wesen in einem sicheren Abstand zu folgen. Das Okular vereint alle Vorzüge eines modernen Fernglases in einer einzigen, metalleingefassten Linse, die sich wie ein Monokel vor ein Auge klemmen lässt. Dabei treten hauchfeine Drähte hervor, die sich in der Haut verhaken und festen Halt garantieren. Berührt man die Linse selbst, ziehen die mikrofeinen Drähte sich zurück und hinterlassen keinerlei Spuren.
    Die Schlange flieht und entfernt sich von der Pyramide. Ich folge, auf ausreichend Abstand bedacht. Im Wärmebild, eine der Funktionen des Okulars, kann ich sie vom Hintergrund immer ausreichend unterscheiden.
    Zwei Stunden bin ich unterwegs, länger als erwartet und erhofft, denn nun komme ich langsam an meine körperlichen Grenzen, gleichwohl ich Schlangengift und auch normalen Proviant mit mir habe. Die Verzerrungen meines Körpers und die inzwischen verheilten Knochenbrüche, einige davon nicht optimal zusammengewachsen, behindern mich. Aber die Hoffnung darauf, dass sie mich zu einem Schlangennest führt, zu einem Reservoir, aus dem ich mich unbeschränkt bedienen kann, lässt mich den Mut nicht verlieren.
    Aber was ich tatsächlich finde, verschlägt mir den Atem. Ich habe vieles erwartet, das jedoch nicht! Die Schlange fliegt zu einem von Menschen bewohnten Ort, einem Eingeborenendorf mitten im Dschungel.
    Lange beobachte ich fassungslos aus der Ferne. Und bis ich endlich die Zusammenhänge begreife, wird es Nacht...
    ***
    Herbst 2527, bei Calotmul
    Wäre AV-01 zu Gefühlen fähig gewesen, hätte ihn jetzt vielleicht ein mulmiges beschlichen. Vor ihm und seinen bewaffneten Begleitern tauchte der Ort seiner empfindlichsten Niederlage auf.
    Sie waren, wie der Große Herr es angekündigt hatte, zu dem wehrhaften Dorf zurückgekehrt. Die Indios, beziehungsweise ihre heimlichen Lenker sollten für ihren Widerstand gerichtet werden.
    Immer noch haderte die nüchterne Logik von AV-01 mit dem sinnfreien Begehren seines Schöpfers, die knapp zweihundert Bewohner des Dorfes wegen ihres Verhaltens bis zum letzten Mann auszurotten.
    Bestrafen, ja. Aber dabei sämtliche Ressourcen zu vernichten, die in Zukunft noch dringend benötigt wurden, das war kontraproduktiv und würde gewaltige Anstrengungen nach sich ziehen müssen, um anderswo – mit vermutlich größerem Aufwand – für adäquaten Ersatz sorgen zu können. Immerhin ging es um das Lebenselixier des Meisters!
    Nichtsdestotrotz befolgte AV-01 den Befehl. Gemeinsam mit den Schwärmern stieß er bis in das Dorf vor. Er erwartete einen neuen Hinterhalt – doch die Siedlung schien diesmal tatsächlich verlassen zu sein. Alles erweckte den Anschein, als hätten die Bewohner es nach dem überstürzten Abzug der Feinde aufgegeben.
    Die Dorfmitte präsentierte sich unverändert: Niemand hatte versucht, die eingestürzte Falle mit Erde aufzufüllen. Hier und da ragten die Trümmer zerstörter Schwärmer aus der Grube, und auch im Randbereich waren welche zu finden; Reste derer, die es zwar noch aus der Fallgrube heraus geschafft hatten, dann aber vom wütenden Mob zerlegt worden waren.
    AV-01 hielt seinen Schöpfer pausenlos auf dem Laufenden. Die Schwärmer durchkämmten trotz der scheinbar eindeutigen Anzeichen sämtliche Hütten und die Umgebung des Dorfes. Dabei stießen sie auf ebenso eindeutige Spuren, die AV-01 unverzüglich in Augenschein nahm.
    »AV-01 an den Großen Herrn. Wir kennen jetzt die Richtung, in die sich die Bewohner abgesetzt haben.«
    »Wir hören!«
    »Nach Osten«, sagte der Prototyp mit der hölzernen Geiermaske. »Die Spuren weisen auf schwer beladene Wagen hin. Vermutlich sind die Dorfbewohner in der Absicht aufgebrochen, nie mehr an diesen Ort

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