335 - Der verlorene Sohn
Feinmechanik-Greifern und Leiterplatten.
Fudoh lächelte unwillkürlich unter all seinem Narbengewebe, als er ihn betrachtete. Die Außenhaut, bestehend aus reinstem Duplex, war schon lange fertiggestellt. Er hatte die Hülle seinem früheren Ich angepasst. Ein schöner, junger, unbeschädigter Körper.
»Nur noch die Mikro-Servos für die Gelenke«, murmelte er, »und das Speichermedium. Dann steht nichts mehr zwischen mir und meinem neuen Leben.«
Der Gedanke ließ ihn lächeln. In diesem kraftvollen Androidenkörper würde er seine Pläne endlich umsetzen können: das über die ganze Welt versprengte Volk Nipoos wieder zu vereinen, mit ihnen eine neue Heimat zu finden und es zu neuer Blüte zu führen.
Nach jahrelanger Planung stand das Projekt nun kurz vor seiner Vollendung. Doch selbst wenn die Beschaffung des Elektronengehirns noch Jahre dauern sollte: Fudoh hatte gelernt, geduldig zu sein. »Gibt es irgendwelche Anzeichen für Androiden in der Stadt?«, fragte er.
»Keine«, meldete Haruto, der für die Außenüberwachung zuständig war, wenn sich die »Hand« in Amarillo befand.
»Gut.« Fudoh wandte sich an das kleinste Mitglied der Gruppe. »Shouta, du besitzt das notwendige Wissen, um die Mikro-Servos zu erkennen. Du wirst diesen Einsatz leiten. Geht jetzt und bereitet euch auf die Abreise vor.«
Wie eine Person erhob sich seine »Hand«. Nacheinander verließen sie die Schaltzentrale und schienen dabei eine Wandlung zu durchlaufen. Ihre Mienen wurden weicher, ihr Gang lässiger, ein Lächeln lag plötzlich auf ihren Lippen. Von einer Sekunde zur anderen verwandelten sie sich von einer hochspezialisierten Einsatztruppe in den Menschenschlag, der – ahnungslos über die Vorgänge im Innersten – die Enklave des Friedens bevölkerte. Darin war »Fudohs Hand« geübt.
Ein letztes Mal fiel Fudohs Blick auf den unfertigen Körper, der darauf wartete, vollendet zu werden, dann beendete er die Kamera-Übertragung. Seine Krieger würden die benötigten Teile nach Amarillo bringen, daran hegte er keinen Zweifel.
***
Keran schob vorsichtig seinen Kopf um die Ecke. Tagelang hatte er auf die Rückkehr der fünf Kameraden gewartet. Von einem auf den anderen Tag waren sie einfach verschwunden gewesen. Das taten sie hin und wieder. Mal blieben sie der Kommune wochenlang fern, mal verschwanden sie nur für wenige Tage.
Irgendwie bildeten diese Fünf eine eigene kleine Gemeinschaft innerhalb der Gemeinschaft. Man munkelte, dass sie Spezialaufträge für Fudoh ausführten. Sie bewachten die Grenzen, stellten sich Feinden entgegen, lange bevor diese der Enklave nahe kommen konnten. Fudoh selbst sollte sie trainiert haben.
Gerade verschwanden sie gemeinsam mit ihm im Hauptgebäude, dem Medical Science Center , oder kurz MSC, wie Fudoh es nannte. Den übrigen Bewohnern der Enklave war nicht gestattet, es zu betreten.
Direkt hinter dem Jello ging Miyu. Seine Miyu. Schon mehrmals waren sie sich begegnet, und dabei hatte sie ihm zugelächelt. Das nahm er als Zeichen. Er hatte während seiner Zeit in El’ay aufmerksam zugehört, wenn Kurrt von seinen Erfahrungen mit Frauen berichtete. Sie wollten erobert werden. Zuerst sendeten sie versteckte Signale. Und dann warteten sie darauf, dass man ihnen imponierte. Je verrückter die Aktion, desto besser.
Aber wie sollte er sich Miyu nähern, und wie sollte er die Gunst einer Kämpferin, wie sie eine war, erringen? In das Hauptgebäude und in den Bunker vorzudringen, war sicher jene Art von Verrücktheit und Wagemut, auf die Frauen abfuhren. Aber ganz sicher war sich Keran nicht. Er hätte viel darum gegeben, Kurrt fragen zu können. Aber Kurrt war lange tot.
Die Tür schloss sich hinter Haruto, der das Schlusslicht der Gruppe bildete. Keran rannte los und rüttelte an der Klinke. Nichts. Die Tür war ins Schloss gefallen.
Unsicher sah er sich um. Er wusste von einer weiteren Möglichkeit, in das Gebäude einzudringen, aber es war riskant und er wusste nicht, ob Miyus Aufmerksamkeit es wert war, sich dafür Fudohs Zorn zuzuziehen.
Im linken Flügel des MSC gab es ein zersplittertes Fenster. Es lag in vier Metern Höhe, aber Keran hatte sich schon die Mauer angesehen; sie war so von Rissen und Löchern durchzogen, dass er sich zutraute, daran hochzuklettern. Er musste nur achtgeben, sich nicht an den Splittern zu schneiden. Von dort aus würde es ein Leichtes sein, das Hauptgebäude über einen Verbindungsflur zu erreichen.
Keran warf seine Bedenken über Bord. Miyu
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