335 - Der verlorene Sohn
benötigte der ihn, was sich aber spätestens ändern würde, wenn Fudoh keine Gefahr mehr darstellte.
»Ausgezeichnete Arbeit«, lobte Miki, als der Chip eingesetzt und von einem Feinmechanik-Greifarm mit den Kontakten des Handgelenks verbunden war. Er öffnete und schloss ein paarmal die Hand. Bald würde er beide Arme wieder einsetzen können.
Gleichzeitig mit seiner körperlichen Vollendung arbeiteten Mikis Subroutinen an den Entwürfen verschiedener Szenarien, wie er weiter verfahren könnte. Das primäre Ziel bestand darin, zu Fudohs Androidenkörper vorzudringen und ihn zu zerstören. Das sekundäre Ziel war dann der General selbst.
Miki hatte sich mit den Computerbänken des Labors vernetzt, um einen Weg durch die Firewall des Medical Science Center zu finden. Da sein Angriff quasi von innen kam, gelang ihm das relativ schnell. Das Programm akzeptierte seinen Zugriff.
Da Fudoh die Überwachungskameras in den Laboratorien Tag und Nacht laufen ließ, konnte Miki darauf zugreifen. Innerhalb weniger Sekunden fand er, wonach er gesucht hatte.
In verrauschten Bildern – immerhin war diese Anlage über fünfhundert Jahre alt – präsentierte sich ihm ein beinah fertiggestellter Androidenkörper. Eine Ähnlichkeit mit Fudohs eigenen Zügen war ansatzweise erkennbar. Hatte der Japaner sich mit diesem Körper ein jüngeres Abbild seiner selbst erschaffen? Nach allem, was er aufgrund der Verstümmelung durch die Nordmänner hatte ertragen müssen, war das auch durchaus verständlich.
Miki kannte solche Eitelkeiten nicht. Seine Gestalt hatte mit dem ehemaligen Wissenschaftler Professor Dr. Takeo nichts mehr gemein. Bei seiner schrittweisen Umwandlung in einen Android hatte Zweckmäßigkeit an erster Stelle gestanden. Und ja: auch eine gewisse Stärke, um sich in der feindlichen postapokalyptischen Welt behaupten zu können.
Über die im Körper des anderen Androiden verbaute Elektronik konnte Miki nur wenig aussagen. Zweifellos hatte General Fudoh ein ordentliches Maß an Offensiv- und Defensivtechnik integriert. Der Rechner des Labors war jedoch vom Rest des Netzwerks abgekoppelt, wodurch Miki nicht auf die Blaupausen und Sensorergebnisse zugreifen konnte.
Was er allerdings auf dem Detailbild einer Kamera erkennen konnte: Der Schädel des Androiden stand offen und offenbarte leere Steckplätze, wo eigentlich die Gedächtnisspeicher hätten sein sollen. Offenbar wollte Fudoh auch in diesem Punkt Miki als Ersatzteillager missbrauchen.
Ein blinkendes Symbol zeigte an, dass seine Subroutinen mit der Ausarbeitung verschiedener Szenarien fertig waren. Er checkte sie auf ihre Erfolgschancen ab und wandte sich dann mit einer Kurzfassung an Keran. »Hier ist mein Plan: Wir werden zuerst das Labor mit dem Androidenkörper eindringen und diesen zerstören. Ich denke, ich kann den Code knacken, der uns die Tür dorthin öffnet. Danach bereiten wir alles vor, um Fudoh und seine »Hand« bei ihrer Rückkehr auszuschalten. Ist das erledigt, werde ich Amarillo verlassen, und du solltest die Bewohner der Kommune über Fudohs Machenschaften aufklären.«
Keran nickte eifrig. »Klingt nach einem guten Plan.«
Er ahnte nicht, was Miki in seiner Kurzfassung bewusst verschwiegen hatte – weil auch von Keran eine Gefahr ausging. Ein Risiko, das er mit seiner nächsten Frage thematisierte: »Warum fühlst du dich in Gegenwart von Technik so unwohl?«
Ertappt zuckte Keran zusammen. »Ist das so offensichtlich?«
»Für jemanden wie mich ist es das.«
»Ich verachte nicht alle Teknikk«, erwiderte er – und Mikis Sensoren registrierten präziser als jeder Lügendetektor Kerans beschleunigten Atem und Herzschlag, kleine Schweißperlen auf der Haut und ein unruhiges Zucken seiner Pupillen. »Es ist nur Fudoh, den ich hasse. Er... er war wie ein Vater für mich, hat mich aufgenommen, als meine Schwester starb. Ich dachte, ich könnte ihm vertrauen. Bis ich das Gespräch belauscht habe, das mir die Augen geöffnet hat.« Kerans Herzschlag und die Schweißproduktion seiner Poren normalisierten sich: Jetzt sagte er die Wahrheit. »Als Fudoh davon sprach, selbst zum Androiden zu werden und alle Bewohner der Kommune umzubringen. All die schönen Reden zuvor waren nichts weiter als eine einzige Lüge!«
Miki verstand, was in dem Jungen vorging. Mit dem Erkennen von Fudohs wahrer Natur war seine Welt zerbrochen. In diesen Momenten war Miki froh, dass er zwar in der Lage war, Gefühle zu analysieren und nachzuvollziehen, selbst jedoch
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