335 - Der verlorene Sohn
kaum verändert. Fudoh hatte alles instand gehalten und nur wenige Veränderungen vorgenommen.
»Wir müssen nach unten«, erklärte Keran. »Der Androidenkörper befindet sich in einem der Bunkerlabore.« Miki verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass er durchaus wusste, wo der Zugang sich befand. Immerhin hatte er einen Großteil des Medical Science Center selbst entworfen.
Auf dem Weg durch das Gebäude begegnete ihnen niemand. So erreichten sie das wuchtige Stahlschott ohne Zwischenfälle.
»Hier ist es«, sagte Keran. »Das Labor ist hermetisch abgeriegelt. Ich habe es nicht geschafft, hier einzudringen.«
Miki deutete auf ein Display, das in Höhe seiner Hüfte links neben der Tür angebracht war. »Dazu ist ein sechzehnstelliger Zahlencode einzugeben«, erklärte er. »Ich kümmere mich darum.« Er ging vor dem Tastaturfeld in die Knie, löste die Abdeckplatte und machte sich an der darunterliegenden Elektronik zu schaffen.
Fudoh hatte den zuletzt verwendeten Code natürlich geändert, aber da Miki den Bauplan der elektronischen Sicherung kannte, war es für ihn kein Problem, direkt auf den Prozessor zuzugreifen. Trotzdem dauerte es lange Minuten, um den Code auszulesen. Fudoh hatte ihn in einem redundant gesicherten Speicher abgelegt, der nicht mit dem Netzwerk verbunden war. Hinter ihm trat Keran unruhig von einem Fuß auf den anderen, blickte sich immer wieder um, biss auf seine Unterlippe oder versuchte an Mikis Schulter vorbeizuschauen.
Mittels Interlink-Verbindung mit dem Eingabefeld erhielt Miki schließlich Zugriff auf die Speichereinheit, las den Code aus und beendete die Verbindung. Er brachte das Display sorgfältig wieder an, damit niemand die Manipulation zu früh bemerkte, dann gab er den Code ein.
Ein Knirschen hallte durch den Gang, als die Bunkertür zur Seite rollte. Dahinter lagen für einige Augenblicke Leere und Dunkelheit, bis ein Teil der Deckenbeleuchtung automatisch ansprang. Die beiden ungleichen Partner eilten weiter, dem Labor entgegen. Bis eine weitere Stahltür sie stoppte. Ein Monitor links davon war die einzige elektronische Komponente; einen Kartenleser oder eine Tastatur gab es nicht.
Keran deutete auf das Schott. »Ist es hier? So weit bin ich nie gekommen.«
Miki nickte. »Ich habe die Kontrollnummer des Bereichs auf der Kameraübertragung erkannt. Hier ist der Androidenkörper untergebracht.«
Kerans Miene zeigte eine Mischung aus Vorfreude und mühsam unterdrückter Wut. »Worauf warten wir dann noch? Zerlegen wir das Scheißding in kleine Stücke!«
Miki trat vor und öffnete die Tür. Dann drehte er sich halb zu dem Jungen herum. »Es tut mir leid, Keran – aber ich habe andere Pläne.« Damit betrat er den Labortrakt, zog die Tür hinter sich ruckartig ins Schloss und verriegelte sie von innen.
»He! Was tust du da?« Wütend hämmerte Keran mit seinen Fäusten gegen die Tür. Aber natürlich würde er sie von außen nicht öffnen können. Und Miki hatte nicht vor, ihm zu helfen.
***
Miki blendete das beständige Hämmern von Kerans Schlägen gegen die Tür aus und ging weiter.
Fudoh hatte zahlreiche Änderungen an der Einrichtung des Eingangsbereichs vorgenommen. An der Wand hingen Landschaftsaufnahmen von Nipoo aus der Zeit vor »Christopher-Floyd«, als es noch Japan hieß. Zwei Glasvitrinen enthielten historische Handfeuerwaffen sowie einen dicken Wälzer, der sich nach einem optischen Zoom als »Die Kunst des Krieges« entpuppte.
Er betrat das Labor, in dessen Mitte ein kreisrunder, drehbarer Stahltisch stand. Auf ihm lag der Androidenkörper, durch mehrere Kabel mit allerlei Gerätschaften und einem Computer verbunden.
Miki loggte sich ein und griff auf die Konstruktionspläne zu. Der Körper war nahezu fertig gestellt. Die Mikro-Servos und Steuerchips saßen an Ort und Stelle. Aikos Gesicht konnte er später noch in Waashton nachmodellieren. Einige Komponenten erkannte er als seine eigenen, die Fudoh benutzt hatte.
Unwillkürlich kam Miki ein Bibelzitat in den Sinn, aus dem Ersten Buch Mose: » Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch...« Nur dass es sich hier nicht um Knochen und Gewebe handelte, sondern um elektronische Bauteile, die der Vater seinem Sohn vermachte.
Allein das neurale Netzwerk und die Speicherbänke waren, wie er zuvor in der Kameraeinstellung gesehen hatte, noch nicht installiert. Sie hatte Fudoh im letzten Schritt aus Mikis Kopf entnehmen wollen.
Das hatte nun Miki Takeo
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