335 - Der verlorene Sohn
Moment, in dem Keran sich seinem früheren Mentor weit genug genähert hatte, um ihn anzurufen. »Meister!« Er bemühte sich darum, einen gehetzten Eindruck zu vermitteln. »Der Android...« Japsend hielt er inne und stützte sich auf den Knien ab.
»Du weißt, wo er ist?« Fudoh war mit einem Satz bei ihm und packte ihn bei den Aufschlägen der Lederweste. »Rede!«
»Es war reiner Zufall, dass ich ihn sah«, stieß Keran hervor. »Er tauchte plötzlich im Bunker auf. Ich konnte nichts tun, habe ihn aber eingesperrt. – Wie kann es sein, dass der Maschinenmann noch existiert, Meister? Wurde er denn nicht zerstört?«
Für einige Momente blieb Fudoh sprachlos. Seine Blicke huschten unstet umher. Vielleicht fragte er sich, was Keran beim Bunker zu suchen gehabt hatte. Doch die Sorge um seinen neuen Körper gewann schnell die Oberhand. Ohne eine Antwort zu geben, stieß er Keran zur Seite.
»Miyu, Haruto, Kommando zurück«, rief er. »Wir stürmen gemeinsam den Bunker!« Fudoh lief los, flankiert von Shouta und Miyu. Die anderen folgten dichtauf. Keran bildete, von allen unbeachtet, das Schlusslicht. »Wir müssen Takeo dieses Mal eigenhändig erledigen«, fuhr Fudoh atemlos fort. »Mobile Blitzwerfer können wir im Bunker nicht einsetzen, ohne die Elektronik zu schädigen. Die Arbeit der vergangenen Jahre wäre umsonst gewesen.«
»Wir überwältigen ihn auch so«, stieß Miyu hervor. »Er wird sich uns beugen oder untergehen.«
Keran war einmal mehr entsetzt von ihrem wahren Gesicht. Sie schien Fudoh hörig zu sein. Erst als er darüber nachdachte, wurde Keran klar, dass er selbst genauso gehandelt hatte. Bis vor wenigen Monaten war Fudoh für ihn ein Halbgott gewesen. Niemals hätte er es gewagt, sich gegen ihn aufzulehnen.
»Es war mutig von dir, so zu handeln«, sagte Haruto anerkennend und riss Keran damit aus seinen Gedanken. »Unser Ziel war es, den Androiden vollständig auseinanderzunehmen. Vermutlich hat er sich irgendwie Kontrolle über die Maschinen des Labors verschafft und sich selbst wieder zusammengebaut.«
Haruto versuchte offenbar zu erklären, warum Takeo entgegen Fudohs Erklärung unbeschädigt herumlief. Keran hatte Haruto noch nie leiden können. Der gedrungene Jello mit dem stechenden Blick musterte ihn stets wie ein Frekkeuscher-Baby. Die Lügen, die er von sich gab, machten es nicht besser.
Doch Keran lächelte dümmlich und nickte, wie es von ihm erwartet wurde. Er war ja nur der kleine dumme Junge. »Fudohs Hand« wollte hirnlose Wakudas, die sie jederzeit kontrollieren konnten.
»Wir werden den Android jetzt endgültig vernichten – dank dir«, beendete Haruto sein Gebrabbel.
»Das habe ich doch gerne getan«, erwiderte Keran und meinte es sogar genau so. Dann ließ er sich zurückfallen.
***
Fudoh gelang es nur unter Aufbietung seiner gesamten Selbstbeherrschung, vor seinen Leuten die Fassung zu bewahren. Nicht nur, dass Takeo es geschafft hatte, sich selbst wieder zusammenzusetzen, er war auch noch in den Bunker vorgedrungen! Dorthin, wo Fudohs neuer Körper ruhte. Unter Umständen konnte Takeo seine ganzen Pläne zunichtemachen.
Nach einer Ewigkeit erreichten sie das Tor zum inneren Laborbereich, das Keran mit einer Eisenstange blockiert hatte. Der Monitor daneben war zertrümmert worden. Blutspuren waren auf den Überresten zu sehen, wie auch auf dem Metall des Schotts.
Erst jetzt wurde Fudoh richtig bewusst, dass sein treuer Anhänger Keran bis hierher vorgedrungen sein musste, um Takeo einzusperren. Hatte er ihn am Eingang des MSC gesehen und war ihm gefolgt? Oder hatte sich Keran unerlaubterweise im Inneren des Komplexes herumgetrieben? Er würde ihn zur Rede stellen, sobald das hier erledigt war.
Haruto, Miyu und Shimitao zogen synchron ihre Schwerter. Fudoh hatte winzige Generatoren in die Griffe eingebaut, die es seinen Kämpfern ermöglichten, die Klingen unter Strom zu setzen. Die Wirkung auf Androiden war zwar nicht zu vergleichen mit der eines Blitzwerfers, doch gemeinsam eingesetzt konnte die Summe der Klingen sogar Miki Takeo Schaden zufügen – davon war Fudoh überzeugt.
Shouta und Siana hatten sich neben ihm aufgestellt, flankierten ihn wie zwei lebendig gewordene Schatten.
Dann zog Miyu die Stange aus der Türverstrebung.
Nichts geschah.
Nach einer Minute des Abwartens gab Fudoh den Befehl, die Tür zu öffnen. Miyu zog sie auf. Dahinter gähnte Leere. Doch Fudoh wusste: Irgendwo hinter dem seichten Dämmerlicht, das den Eingangsbereich
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