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34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer

Titel: 34 Meter über dem Meer - Reich, A: 34 Meter über dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annika Reich
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geknotet war; und auch wenn er klein war, viel kleiner, als sie sich einen Herrn Horowitz vorgestellt hatte, war er eine imposante Erscheinung.
    Er musterte sie mürrisch von oben bis unten, dann öffnete sich sein Blick, und er strahlte sie an: »Kommen Sie doch rein.« Er schloss die Tür hinter ihr und murmelte etwas, das in Ellas Ohren klang wie: »Wenn ich das geahnt hätte…«
    Ella trat ein und strich sich durchs Haar. In Horowitz’ Blick lag etwas Weltmännisches und Offenes, das sie mochte, und die Art, wie dieser Blick auf ihr ruhte, entspannte sie. Sie fühlte sich überraschend wohl in ihrer Haut. Selbst ihre große, gebogene Nase gefiel ihr plötzlich, und sie hatte nicht den geringsten Impuls, ihre seltsam geformten winzigen Fingernägel zu verstecken.
    Sie stand im Eingang. Vor ihr lag ein holzgetäfelter Flur, der sich über knapp zwanzig Meter erstreckte, bevor er eine Biegung nach links in den hinteren Teil der Wohnung machte. An den Wänden waren Kristallspiegel, Ölbilder und mehrere ausladende Wandlampen angebracht. Gerade hatte sie ein Foto von Norman Mailers New Yorker Apartment in der Zeitung gesehen. Es stand zum Verkauf und erinnerte sie an die Wohnung, die sie gerade betrat.
    Horowitz griff ihren überwältigten Blick auf und sagte: »Das ist nur der Flur, der ist karg im Vergleich zu den Zimmern. Die Zimmer sind noch voller. Ich weiß einfach nicht, wohin mit meinem ganzen Kram.«
    Horowitz schaute sie mit einer seltsamen Mischung aus mürrischen Mundwinkeln und funkelnden Augen an. Sie blickte sich weiter um, dann sagte sie leise und mit angerauhter Stimme, die den Timbre der Wände sofort aufgenommen zu haben schien: »Schön ist es hier.«
    »Schön? Sie machen Witze!«
    »Nein, wieso?«
    »Kommen Sie, gleich sehen Sie das Ausmaß des Grauens.«
    »So bekommen Sie Ihre Wohnung nie los«, sagte sie und lachte.
    »Bin ich Verkäufer?«, fragte er. »Kommen Sie, Sie werden sehen, es ist grauenhaft.«
    Sie gingen den Flur entlang. Und als sie einen Blick in das prachtvolle Esszimmer warf, dachte sie: Nicht Norman Mailer. Titanic. So musste es in der Präsidentensuite der Titanic ausgesehen haben.
    »Sie leben ja in einem Dampfer«, sagte sie.
    »Ha!«, rief er aus. »Ein Dampfer? Das ist gut, sehr gut sogar. Ja, nur ist der zu lange in eine Richtung gefahren, und Sie wissen ja wahrscheinlich selbst, wie schwierig es ist, im vollen Lauf den Kurs zu korrigieren.«
    »Wo wollen Sie denn hin?«, fragte sie.
    »Erst mal nur woandershin.«
    »Woandershin?«, fragte sie. »Tauschen Sie deswegen Ihre Wohnung?«
    Horowitz schwieg wieder eine Weile, dann antwortete er: »Wissen Sie, das war so eine Idee, die ganz plötzlich kam. Ich arbeite seit unzähligen Jahren an einem Werk, und im Moment stockt es ein bisschen, und da dachte ich, eine Unterbrechung täte mir vielleicht ganz gut. Wie soll man bloß ein Werk abschließen, wenn immer neue Erkenntnisse dazu veröffentlicht werden, die alles in einem anderen Licht erscheinen lassen? Mir wird das immer schleierhafter. Und als mir dann ein Freund erzählte, dass er seine Berliner Wohnung im Sommer immer mit einer New Yorker Wohnung tauschte, fand ich das ideal. Wenn ich für eine Weile meine Wohnung los wäre, könnte ich mir das Ganze von der Seite anschauen und vielleicht endlich mal wieder etwas erkennen. Alles ziemlich unausgegoren, wie Sie sehen, aber jetzt sind Sie hier, und das ist phantastisch!«
    Ella lächelte ihn an und dachte: Wer ist dieser Horowitz?
    »Wissen Sie, ich war in den letzten Jahren so beschäftigt, dass ich dabei nicht gemerkt habe, wie das Leben vergeht.«
    Kannte sie Horowitz vielleicht aus der Zeitung? War er ein berühmter Forscher oder ein Schriftsteller wie Norman Mailer? Aus dem Fernsehen kannte sie Horowitz jedenfalls nicht, dafür wirkte seine Grandezza zu altmodisch.
    »Mir ist es übrigens auch ganz egal, wie es bei Ihnen aussieht«, fuhr Horowitz fort. »Jedenfalls fast. Ich habe einen kleinen Spleen, nein, falsch: ich habe natürlich massenweise Spleens, aber nur einen verrate ich Ihnen jetzt: Ich kann kein Blau ertragen. Blaue Wände, blaue Vorhänge, blaue Sofas – ein Graus!«
    »Blau ist doch eine schöne Farbe«, sagte sie, »der Himmel, das Meer, Kornblumen, Veilchen.«
    »Mit Pflanzen habe ich es nicht so, und das mit dem Meer…«, er stockte.
    »Und das mit dem Meer?«
    »Das mit dem Meer ist eine lange Geschichte. Haben Sie nun blaue Vorhänge oder nicht?«
    »Apfelgrün und dunkelrot«, antwortete

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