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34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata

34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata

Titel: 34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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glaubte er, zu finden, was er in demselben suchte, denn nun ich zu ihm an das Bett getreten war, streckte er mir die beiden skelettartigen Hände zum Gruß entgegen und sagte, indem sein Mund ein Lächeln versuchte:
    „Willkommen, Herr! Sie kommen natürlich nur ungern zu einem Sterbenden. Aber ich möchte Sie nach etwas fragen. Wollen Sie mir genauso antworten, wie Sie denken?“
    „Gewiß! Ich werde Ihnen eine wahrheitstreue Antwort erteilen. Sie dürfen sich darauf verlassen.“
    „Ich bitte Sie herzlichst darum! Ihre Antwort ist für mich von der größten Wichtigkeit.“
    Er sprach langsam und mehr hauchend als laut. Seine Brust ging mühsam und hoch. Ich stützte seinen Oberkörper mit den Kopfkissen, so daß er eine sitzende Stellung erhielt, was ihn zu erleichtern schien. Anstatt mir nun, der ich einen Stuhl für mich an das Bett gezogen hatte, seine Frage vorzulegen, betrachtete er mich abermals eine ganze Weile, als ob er mir ins tiefste Herz sehen wolle. Es lag wirklich der Ausdruck der Angst in seinem Blick, so daß ich ein herzliches Mitleid für den Ärmsten empfand.
    „Sprechen Sie getrost“, munterte ich ihn auf. „Ich will denken, ich sei Ihr bester Freund, und werde als solcher zu Ihnen sprechen.“
    „Ja, ja, denken Sie so! Sie sollen mir ja den größten Freundschaftsdienst erweisen, den es geben kann, und ich will Vertrauen zu Ihnen haben.“
    Er faltete die Hände und fuhr fort:
    „Ich muß sterben, ich weiß es, ich fühle es. Ich soll fort, fort, fort, und doch hängt ein Gewicht an meiner Seele, durch welches sie mit Gewalt zurückgehalten wird. Sind Sie Freigeist oder gläubig?“
    „Das letztere, eigentlich auch das erstere, denn ich hege die Überzeugung, daß der Geist des Menschen nur durch den Glauben frei zu werden vermag.“
    „So sind Sie der richtige Mann für mich. Wie denken Sie über den Eid?“
    Das war eine sonderbare Frage. Sollte ein Eid es sein, der ihn beschwerte? Sollte er ein heiliges, nicht zurücknehmbares Versprechen gegeben haben, welches ihn mit Angst vor dem Tod erfüllte? Ich antwortete nicht sogleich; darum fügte er hinzu:
    „Sie verwerfen ihn wohl überhaupt?“
    „Nein. Ein Eid ist ein heiliges Versprechen, bei welchem Gott als Zeuge angerufen wird. Wer ihn bricht, macht sich der Gotteslästerung schuldig.“
    „So meinen Sie, daß er unter allen Umständen gehalten werden muß?“
    „Ja.“
    Er ließ die Hände sinken und seufzte: „Das war auch meine Ansicht, und so bleibt die Last auf mir liegen.“
    „Aber wie schworen Sie den Eid? Freiwillig?“
    „O nein!“
    „Also gezwungen! Ich würde mich zur Ablegung eines solchen Eides niemals zwingen lassen.“
    „Auch nicht durch Androhung des Todes?“
    „Auch da nicht.“
    „So würden Sie lieber sterben?“
    „Hm! Das ist eine Frage, welche ich nicht so leicht beantworten kann. Die Angst vor dem Tod kann mächtiger als der Wille sein. Es kommt auf die Verhältnisse an. Jedenfalls würde ich alles mögliche versuchen und wagen, bevor ich mich bereit erklärte, so ein Versprechen zu geben. Müßte ich es dennoch tun, so würde ich mein Wort nur dann als bindend erachten, wenn sich mein Gewissen nicht dagegen sträubte, das heißt, wenn mein Gelöbnis mich nicht mit den göttlichen Gesetzen in Konflikt brächte, welche mir natürlich über die menschlichen gehen. Wäre ich aber durch mein Versprechen zu einer Begehungs- oder Unterlassungssünde gezwungen, so würde ich es nicht für bindend erachten.“
    „Das ist wirklich Ihre Ansicht?“
    „Ja. Ein Eid, welcher mich zu einer Sünde zwingt, ist eben selbst auch eine Sünde, und zwar eine sehr gefährliche und große. Wer da zögern möchte, sich selbst von ihm zu entbinden, mag sich an seinen geistlichen Berater wenden, welcher ihm gewiß die Freiheit des Gewissens zurückgeben wird.“
    „Herr, Sie machen mir mein Herz leicht!“ sagte er, indem er tief aufatmete. „Ich war Zeuge eines Verbrechens, und ich wurde von dem Täter überfallen und zu dem Schwur gezwungen, es nicht zu verraten, selbst auf dem Totenbett nicht.“
    „So war es ein schweres Verbrechen?“
    „Ja, ein Mord. Ein Führer tötete den Reisenden, welchen er über die Cordilleras bringen sollte. Dieser Reisende war ein geistlicher Herr. Beide kamen aus Peru herüber. Ich befand mich in der Nähe und war Zeuge der schrecklichen Tat.“
    „Konnten Sie dieselbe nicht verhüten?“
    „Nein. Dazu war es zu spät. Das Opfer lag im letzten Zucken, und zwischen mir und dem

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