Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

34° Ost

Titel: 34° Ost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Coppel Alfred
Vom Netzwerk:
Meinung. Vor einiger Zeit hatte er dem Präsidenten einen persönlichen Brief geschrieben, in dem er seine Zweifel geäußert hatte, ob es klug sei, eine Situation zu schaffen, in der die Taube Bailey und das Berufsmilitär unweigerlich einander in die Haare geraten würden. Aus politischen Gründen, die er gut verstehen konnte, waren seine Ratschläge verworfen worden. Seidel konnte das ungute Gefühl nicht loswerden, dass der Vizepräsident Bill Tate Schwierigkeiten machen würde. Der General durfte nicht vergessen, dass Bailey von einem Augenblick zum andern Oberkommandierender der Streitkräfte der Vereinigten Staaten werden konnte.
    Schweigend fuhren sie den Rest des Weges bis zum Hubschrauberlandeplatz von El Arisch.

4
    Die Vormittagssonne hatte den harten, hellen Glanz blanken Stahls. Im Zenit verdunkelte sich der Himmel zu einem tiefen, dunstigen Blau, von dem sich die Mondsichel in gestochener Schärfe abhob. Aus der Höhe von 16.000 Meter sah die Kette des Sinai-Gebirges wie eine in rote, braune und gelbe Falten gelegte Decke aus. Nur hier und dort durchzogen Wadis, weißlich schimmernde, schmale Bänder, das unfruchtbare Land.
    Dale Trask blickte über die schräg abfallende Nase des Shrike; die flache blaue Linie des Mittelmeers, mehr als zweihundertvierzig Kilometer nördlich, war deutlich auszumachen. Die rechte Flügelspitze wies auf den Golf von Akaba – das Wasser war an den Küsten Sinais und Arabiens smaragdgrün und in der Mitte des schmalen Wasserstreifens von einem leuchtenden Blau.
    Er brachte die Maschine ein wenig in Schräglage und blickte nun fast senkrecht auf das Südende des gewaltigen Wadis hinab – eine tiefgefurchte Senke, die die felsige Halbinsel zu spalten schien. Am Rande des trockenen Schwemmlandes sah Trask die Gebäude und Baracken der Zentralen Zone, doch aus einer Entfernung von fast fünfzehn Kilometer waren die Häuser und alles, was Menschenhand hervorgebracht hatte, so gut wie unsichtbar.
    Mit seinem Bodensuchradar und der elektronischen Bildvergrößerung hätte er leicht jeden Punkt in der Zone erfassen können, doch dazu bestand keine Notwendigkeit. Er wußte, dass er sich östlich der Grenzlinie der entmilitarisierten Zone befand. Sein Trägheitsnavigationsgerät funktionierte einwandfrei. Er hatte die Absicht, die entmilitarisierte Zone zu überfliegen und außerdem das von Russen und Ägyptern kontrollierte Gebiet zu inspizieren.
    Im Augenblick flog die Maschine unter der Schallgrenze. Der Shrike konnte, wie jetzt, mit nur 900 Stundenkilometer über eine Strecke von mehr als fünftausend Kilometer gemütlich dahinzotteln oder auch in Sekunden auf zwei Mach beschleunigen. Die Tauglichkeit im Schwebeflug, im senkrechten Starten und Landen machten die Maschine nach Trasks Meinung zur besten taktischen Waffe im Luftkampf. Sie in Vietnam einzusetzen wäre ein Vergnügen gewesen, dachte er. Vietnam war der einzige Krieg gewesen, in dem er gekämpft hatte.
    Er schob die Sonnenblende seines Helms nach oben, kniff die grauen Augen zusammen und prüfte die unter ihm liegende Landschaft. Trask hatte ein verunstaltetes Kinn, und er mußte eine nach Maß gefertigte Sauerstoffmaske tragen. Ein nordvietnamesischer Soldat hatte es ihm zertreten; nordvietnamesische Zivilisten waren für die verbrannten Hände verantwortlich, die ihm noch manchmal in den Handschuhen Schmerz verursachten. Der Gedanke daran ließ ihn die Fäuste um die Hebel krampfen.
    Mit den Händen hatte es angefangen: Betäubt, von den Splittern einer explodierenden Boden-Luft-Rakete verletzt, war er in einem Dorf in der Nähe von Haiphong gelandet. Die wütenden Bauern hatten ihn in ein Gebäude geschleppt, das kurz zuvor bombardiert worden war. Bevor er noch wußte, wie ihm geschah, hatten sie seine Hände mit Gewalt ins Feuer gezerrt. Das zerschmetterte Kinn und die ausgeschlagenen Zähne waren später gekommen: nachdem er einen Besucher angespuckt hatte, einen amerikanischen ›Friedenskämpfer‹, der sich an sein Bett gestellt und verräterisches Zeug geredet hatte, während die Vietnamesen fotografierten. Man hatte Trask ans Bett gefesselt, damit er seine Hände nicht mehr beschädigte. Nachdem der ›Friedenskämpfer‹ und die Fotografen den Raum verlassen hatten, trat ihn sein nordvietnamesischer Wärter mit dem Absatz ins Gesicht, aus Wut darüber, dass die Propagandatricks misslungen waren.
    Trask träumte immer noch davon. Von den erlittenen Schmerzen, gewiß; vor allem aber quälten ihn

Weitere Kostenlose Bücher