34° Ost
Geländes und sprangen den felsigen Hang zur Mauer der halb in der Erde versunkenen Kirche hinunter. Kaum eine Minute später setzte draußen das Feuer der Marines ein, und laute Kommandorufe ertönten. Tate hob den Kopf und streckte sich, um über die Brüstung beim Nordtor zu sehen, aber eine Ecke des Andachtsgebäudes blockierte seine Sicht.
»Jetzt wird's ernst, Sergeant. Diese Schießerei kann Bailey erledigen«, sagte er. Sein Herz arbeitete in harten Stößen, und plötzlich fühlte er sich viel zu alt für solche Sondereinsätze. Robinsons Atem hingegen ging nicht einmal rascher.
Draußen wurde noch immer geschossen, Tate vermutete, dass der Guerilla, der sie gesehen hatte, sie für zufällig in dem besetzten Bau verbliebene Mönche hielt, aber nun durch den Angriff abgelenkt wurde und auf seinen Posten mußte.
Der General blickte nochmals auf den Lageplan: Sie konnten die Kirche nur von der Nordseite betreten, mußten also ohne Deckung noch eine Gebäudeecke hinter sich bringen. Es gab wohl Tore in der Ostmauer, aber nicht an der Westseite, bei der sie sich nun befanden.
»Decken Sie mich«, sagte Tate und lief geduckt um die Ecke. Vor ihm lag eine Art Gang, gebildet durch die Nordfassade der Kirche und eine parallel dazu verlaufende Gartenmauer. »Alles frei!« stieß er hervor und winkte Robinson, ihm zu folgen. Dann hetzte er den abschüssigen Weg zum Nordportal hinunter. Im Laufen hörte er plötzlich, wie jemand auf der Mauer zu schreien begann. Es klang kaum mehr menschlich, ein irres, unaufhörliches Angstgeheul, das ihm Schauer über den Rücken jagte.
Als er mit einem Sprung endlich den dunklen Innenraum der Kirche erreichte, war er durch den jähen Lichtwechsel wie geblendet. Nur undeutlich nahm er eine Bewegung an der Kapellenwand wahr und warf sich mit einem Warnruf zu Robinson gegen die Quadern, denn im selben Moment peitschte ein Feuerstoß durch das Kirchenschiff und hallte von den Gewölben wider. Winzige Steinsplitter sprühten Tate ins Gesicht, und er hörte das Jaulen der Querschläger, als Projektile knapp neben seinem Kopf von den Bodenplatten abprallten. Er rollte sich hinter ein wuchtiges Portal, Robinson dicht neben ihn geduckt. »Verwundet?« fragte der Sergeant atemlos.
»Nein.«
Er hörte das Trampeln schwerer Schuhe und ein Gemurmel in einer Sprache, die er nicht verstand. Instinktiv griff er nach seiner Pistole und merkte, dass er sie verloren hatte.
»Nehmen Sie meine, Sir«, flüsterte Robinson. »Ich habe das hier.« In seiner Hand funkelte das Wurfmesser. »Glauben Sie, dass unsere Leute aus der Kirche weggeschafft wurden?«
Tate schüttelte den Kopf. »Die sind da drin.«
Seltsamerweise brannten vor dem Altar Kerzen. Ein schwerer, süßlicher Wachsgeruch erfüllte die dumpfe Luft.
Tate bedeutete Robinson, in Deckung zu bleiben, während er selbst sich um den Bau herum zur Südfront vorarbeiten wollte. Langsam schob er sich hinaus, dann rannte er, so rasch er konnte, von einem Tor zum anderen, bis sich vor ihm der Gang öffnete, der zu den Räumen hinter dem Altar führte. Er sah, dass sich etwas regte, lief aber weiter. Das Knattern des Karabiners war ohrenbetäubend nahe. Eine Geschoßgarbe riß Löcher in die Holzvertäfelung, an der Tate entlanghetzte. Und da hörte er schon Colonel Seidels Stimme: »Hier! Neben dem Altar!«, und gleich darauf das Geräusch eines schweren Schlages. Dann sah er den Richter, der auf dem Boden lag, daneben stehend Bailey, und vor ihnen einen stämmigen Mann im Tarnanzug, eine Kalaschnikow in den Händen. Tate konnte nicht schießen, ohne Bailey zu gefährden, aber er näherte sich der Gruppe. Wie in Zeitlupe hob der Mann in der grünbraun gefleckten Uniform die Waffe. In dieser Sekunde war es Bill Tate, als hätte er das alles schon einmal erlebt: eine Gestalt im Tarnanzug mit einer nur zu bekannten russischen Waffe im Anschlag, bereit, so lange zu schießen, bis nur blutige Fetzen von ihm übrig blieben. Der Schauplatz war ein anderer, denn jenes erste Mal geschah es nachts in einem von Vietkongs überrollten A-Camp im vietnamesischen Bergland, doch es war haargenau die gleiche Situation, auch die Kugel, die Tate in die Seite traf, ihn herumwirbelte und in seiner Brust jäh aufloderndes Feuer entfachte.
Auf dem Rücken liegend, sah er, wie die Waffe wieder gehoben wurde, diesmal zielte sie auf Talcott Bailey, der wie gebannt in die Mündung blickte, in seinen gespannten, bleichen Zügen stand die Erkenntnis, dass dieser
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