35 - Sendador 02 - In den Kordilleren
den Gran Chaco gemußt, ist überfallen, ausgeplündert und gefangen genommen worden. Die Roten dieser Gegend unternehmen doch, wie man allgemein weiß, große und weite Züge, um Menschen zu rauben und dann Lösegelder zu erpressen. Horn hat gesagt, daß der Desierto ihn loskaufen werde; er hat vielleicht gar von dem großen Reichtum des Alten gesprochen, und da haben die Mbocovis, von dem Sendador und dem Yerno veranlaßt, es vorgezogen, sich das ganze Vermögen anstatt nur ein Lösegeld zu holen.“
„Hm! Das klingt ganz einleuchtend. Wir müssen es natürlich sofort dem Desierto mitteilen!“
„Nein! Wir dürfen nicht eine Hoffnung in ihm erwecken, welche vielleicht nicht in Erfüllung geht. Ich frage zunächst den Yerno.“
„Er wird nicht antworten.“
„So löse ich ihm die Zunge mit der Peitsche.“
„Ah, Sie sind doch stets und streng gegen solche Gewalttätigkeiten gewesen!“
„Mit vollem Recht. Hier aber ist eine Ausnahme vorhanden. Hat dieser Yerno nicht uns beide morden wollen? Beabsichtigte er nicht, den Tobas den Pardon zu versagen? Und sollen wir einen solchen Halunken schonen, nur damit ein braver Mann länger bei den Mbocovis schmachtet und endlich, wie wir vernommen haben, gar ermordet wird? Nein, der Mann bekommt Prügel nach Zweiunddreißigstel-Noten, wenn er nichts gesteht. Wir nehmen ihn sofort vor, sobald er sich auf dem Felsen befindet.“
„Wir beide allein?“
„Wir beide und zwei Indianer, welche die Peitsche führen.“
„So kommen Sie! Wir sind ja fast die Letzten hier auf der Insel.“
Er hatte recht. Wir kamen gerade noch zur rechten Zeit, um in dem einzigen noch vorhandenen Kahn, welcher sich zur Abfahrt anschickte, notdürftig Platz zu finden. Man hatte uns ganz vergessen, uns, die wir nach Penas Ansicht die Hauptpersonen des heutigen Abends waren.
Das Ufer bot jetzt einen fast feenhaften Anblick. Es waren Fackeln herbeigeschafft worden. Alle Welt war von den Inseln gekommen, um die Gefangenen zu sehen, und alle Welt, weiblich und männlich, trug eine brennende Fackel in der Hand. Man hatte den Mbocovis die Füße freigegeben, daß sie laufen konnten, aber ihre Gesichter oder vielmehr die ganzen Köpfe waren mit Bastmatten umwickelt worden. Sie wurden von den Kriegern geführt. Voran und hinterher schritten die Amazonen mit ihren Waffen, an der Spitze Unica, welche ich für heute abend zum ersten Mal sah, da sie auf der Hauptinsel nicht gewesen war. Hinter ihr stieg der Tambour einher, welcher den größtmöglichen Lärm machte. Dann folgten die Dorfbewohner bunt durcheinander, lachend, schreiend, jubelnd. Es war ein wahrer Hexensabbat, bei welchem ich nicht die Gedanken und Gefühle der Gefangenen hätte haben mögen, welche nach dem Brauch des Gran Chaco unbedingt ihr Leben verwirkt hatten.
An der einen Seite des Felsens wurde Halt gemacht. Rufe erschollen von oben, und ein starkes Tau wurde herabgelassen. Man befestigte einen Gefangenen nach dem andern daran, um sie einzeln emporzuwinden. Wohin sie verschwanden, konnte ich nicht sehen, da das Licht der Fackeln nicht so hoch reichte.
Wir beide hielten uns auch jetzt fern und sahen von weitem zu. Dann gingen wir zur Algarobe, um hinaufzuklettern und zu versuchen, ob wir Eingang finden würden. Die Tür stand offen und wir traten ein.
Im Vordergrund stand ein Talglicht; ebenso fanden wir in jedem Raum, durch welchen wir kamen, eins. Es galt zunächst, uns umzukleiden, was in zwei Minuten geschehen war. Dann gingen wir weiter bis in die große Rinden-Niederlage, wo wir wohl ein Dutzend Indianer und auch den Desierto fanden, welche mit den Gefangenen beschäftigt waren.
Man hatte im hinteren Teil dieses Raumes die Wand von den aufgestapelten Rinden frei gemacht, und da sah ich einen vorher verborgenen Eingang zu einem langen, niedrigen Gewölbe, in welchem ganz regelrecht geböttcherte Fässer lagen. Zwischen diese legte man die Gefangenen nieder, denen man die Füße wieder gebunden hatte.
„Denken Sie, daß sie sicher hier sind?“ fragte mich der Desierto mit einer Miene, welche sehr deutlich die Erwartung ausdrückte, daß ich über diese neue Räumlichkeit erstaunen werde.
„Vollständig!“ antwortete ich. „Hier holt sie selbst der Sendador nicht heraus.“
„Nein, sondern wir holen ihn herein! Nachdem ich mit dem Boot von dem Ufer, an welches ich Sie beide gebracht habe, zurückgekehrt war, habe ich sofort zwei Eilboten abgesandt, welche meine von ihrem Zug zurückkehrenden Krieger zur größten
Weitere Kostenlose Bücher